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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht
Autoren: Maggie Stiefvater
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sagte.
    »Die einfachste Methode ist die beste«, antwortete Cole.
    Plötzlich hatte ich ein Bild im Kopf: Grace’ braune Augen, die mich aus einem Wolfsgesicht ansahen. Ich schlang die Arme um meinen Körper.
    »Sie muss noch einmal gebissen werden.«
    Ich riss die Augen auf und starrte Cole an. »Gebissen.«
    Cole verzog das Gesicht. »Das vermute ich zumindest stark. Irgendwas in der Befehlskette für die Verwandlung ist durcheinandergeraten, aber wenn man den ursprünglichen Auslöser wieder einführt, könnte sie vielleicht noch mal bei null anfangen. Nur sollte sie diesmal nicht im Auto gegrillt werden.«
    Alles in mir rebellierte gegen diese Vorstellung. Die Vorstellung, Grace zu verlieren, das zu verlieren, was sie zu Grace machte. Die Vorstellung, ihr das anzutun, während sie im Sterben lag. Die Entscheidung auf diese Weise treffen zu müssen, quasi im Vorbeigehen, weil uns keine Zeit blieb. »Aber es dauert Wochen oder Monate, bis man sich nach dem Biss verwandelt«, wandte ich ein.
    »Ich glaube, so lange braucht das Gift, um sich im Körper anfangs entsprechend aufzubauen«, widersprach Cole. »Aber offensichtlich ist sie ja schon so weit. Wenn ich wirklich recht habe, verwandelt sie sich sofort.«
    Ich verschränkte die Hände hinter dem Kopf und drehte mich weg von Cole und Isabel, starrte die hellblaue Betonwand an. »Und wenn du falschliegst?«
    »Dann hat sie Wolfsspeichel in einer offenen Wunde.« Cole stockte und fuhr dann fort. »Und davon verblutet sie in ihrem jetzigen Zustand wahrscheinlich. Sieht nämlich so aus, als würde das Gift die Fähigkeit ihres Körpers zur Blutgerinnung zerstören.«
    Sie ließen mich eine ganze Weile auf und ab wandern, dann sagte Isabel mit leiser Stimme in das Schweigen hinein: »Wenn du recht hast, stirbt Sam auch.«
    »Ja«, sagte Cole, so ruhig, dass ich wusste, er hatte darüber schon nachgedacht. »Wenn ich recht habe, wird Sams Heilung in zehn bis fünfzehn Jahren auch keine mehr sein.«
    Konnte ich an eine wissenschaftliche Theorie glauben, die in einer Krankenhauscafeteria über lauwarmem Kaffee und zerknitterten Servietten entstanden war?
    Das war alles, was ich hatte.
    Schließlich drehte ich mich um und sah Isabel an. Mit ihrem verschmierten Make-up, dem zerzausten Haar und den unsicher gekrümmten Schultern sah sie aus wie ein vollkommen anderes Mädchen, das sich nur als Isabel verkleidet hatte.
    »Wie kommen wir in ihr Zimmer?«, fragte ich.

KAPITEL 53
ISABEL
    Mir wurde die Ehre zuteil, Grace’ Eltern aus dem Zimmer zu locken. Sam hassten sie, also schied er aus, und Coles Typ wurde gerade anderswo verlangt, also schied er auch aus. Als ich den Gang zu Grace’ Zimmer hinunterklackerte, wurde mir bewusst, dass wir davon ausgingen, dass Coles Plan nicht funktionieren würde. Denn wenn er funktionierte, würden wir alle ganz schön in Schwierigkeiten stecken.
    Ich wartete, bis eine Krankenschwester aus Grace’ Zimmer kam, dann öffnete ich die Tür einen Spaltbreit. Ich hatte Glück, nur ihre Mom saß an ihrem Bett und blickte aus dem Fenster anstatt zu Grace. Ich vermied es, Grace anzusehen, die still und bleich dalag; ihr Kopf war schlapp zur Seite gesunken.
    »Mrs Brisbane?«, fragte ich mit meiner bravsten Schulmädchenstimme.
    Sie blickte auf und ich bemerkte, nicht ohne eine gewisse Genugtuung für Grace zu empfinden, dass ihre Augen gerötet waren. »Isabel?«
    »Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, sagte ich. »Könnte – könnte ich Sie vielleicht kurz sprechen?«
    Sie starrte mich einen Augenblick an, dann erst schien sie zu begreifen, was ich sie gefragt hatte. »Natürlich.«
    In der Tür zögerte ich kurz. Dann mal los, Isabel. »Ähm. Nicht hier bei Grace. Also nicht, wo sie uns …« Ich deutete auf mein Ohr.
    »Oh«, machte ihre Mutter. »Na gut.« Wahrscheinlich war sie neugierig, was ich ihr zu sagen hatte. Ehrlich gesagt ich auch. Meine Hände waren feucht vor Aufregung.
    Sie tätschelte Grace’ Bein und stand auf. Als sie mir aus dem Zimmer folgte, deutete ich verstohlen auf Sam, der, so wie wir es abgesprochen hatten, ein paar Meter den Flur hinunter stand. Er sah aus, als müsse er sich gleich übergeben, was meiner eigenen Verfassung ziemlich nahe kam. »Auch nicht, wo er uns hören kann«, flüsterte ich. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich Sam gesagt hatte, er sei zu ehrlich für diese Welt. Als sich mir jetzt der Magen zusammenzog und ich krampfhaft überlegte, was ich Grace’ Mutter erzählen sollte,
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