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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
Autoren: Pascale Hugues
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schon war sie am Steuer ihres Mercedes-Coupés (passend zu ihren Handschuhen, genauso wie zu ihrer Handtasche) davongerauscht, zu vornehmeren Ufern aufgebrochen, nach Zehlendorf, wo sie wohnte.
     
    Wieder allein auf dem Gehsteig begann ich die Straße ausführlich zu erkunden. Eine ziemlich kurze Straße. Sie beginnt an einem U-Bahn-Ausgang zu Füßen einer neugotischen Backsteinkirche mit drei Türmen, verläuft von da geradeaus, überquert – dort, wo der Plan einen «Park» verzeichnet – ein schmuddeliges Rasenviereck mit ein paar Bänken, auf denen sich die Säufer und Hundebesitzer des Viertels versammeln. Danach führt sie über einen platanengesäumten Platz, um schließlich auf einen kochschinkenfarbenen Sozialwohnungsblock aus den Siebzigern zu prallen, dessen fleischliche Note sich mit dem prüden Graubeige der anderen Fassaden beißt. Die Balkone sind mit Parabolantennen gespickt. Im Erdgeschoss die Küchen von CallaPizza. Vor dem Eingang türmen sich die Marco-Polo-Peperonibüchsen. An der Wand baut der Pizzabäcker, der hinter dem Laden seine Pause macht, eine Kippenpyramide auf. An einem Mäuerchen sind neben den Mülltonnen die Mofas und der Fiesta für die Lieferungen geparkt. Das Gebäude blockiert den Durchgang für die Autos. Nur die Fußgänger können sich durch das «Mäuseloch» schlängeln, diesen schmalen Bogen, durch den der Wind fegt und der die Straße mit einer Durchgangsstraße verbindet. Die Wagen müssen kehrtmachen. Ein Labyrinth für Taxifahrer, die mit der verzwickten Topographie des Häuserblocks nicht vertraut sind. Nein, nicht einmal eine richtige Straße ist es. Eine Sackgasse.
     
    Als sich die Stadt nach dem Mauerfall neu orientieren musste, ist die Straße an den Rand des neuen Berlin abgeglitten, weitab von den trendigen Vierteln, weitab von allem, was sich regt und vibriert und glänzt. Hier schläft man einen friedlichen Schlaf. Hier lassen nachts keine jungen Leute aus der ganzen Welt ihre Partys steigen. Die Touristen setzen keinen Fuß dahin. Meine Straße hat eine gewisse Altmodischkeit bewahrt, die mich rührt. Unerschütterlich wahrt sie Distanz zum angesagten Treiben. Sie weigert sich, sämtliche Moden mitzumachen. Und ich bewundere diese Standfestigkeit. «Na, du wohnst also im alten Westberlin!», mokieren sich die Hipster aus Mitte verächtlich. Erst im Laufe der letzten Jahre haben eine schüchterne Gentrifizierung, die Erhöhung der Mieten und Immobilienpreise sowie der Mangel an Wohnungen, vor allem an Altbauwohnungen, zu einer allmählichen Aufwertung geführt.
    Die Nachkriegsarchitekten – urbanistische Schönheitschirurgen, die den verunstalteten deutschen Städten so etwas wie ein Gesicht zurückgeben sollten – haben die Sache nicht unbedingt besser gemacht. Niedrige Wohnblöcke mit Flachdach stehen neben den paar wilhelminischen Häusern mit den großräumigen Dachböden, die in ramponiertem Zustand die Bombenangriffe überstanden haben. Relikte einer bürgerlichen Vergangenheit. Die Bauherren, die diese exklusive, verheißungsvolle Straße zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit großem Eifer errichteten, hätten sich wohl nicht träumen lassen, dass ihre Geschichte einmal so enden würde: eine zerstückelte, völlig zerstörte Straße, mitleiderregend beinahe. Eine zusammengestoppelte Straße. Ihre dicht aneinandergedrückten Gebäude scheinen sich gegenseitig abstützen zu müssen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ohne jede gemeinsame Proportion, ohne jede Einheit von Stil oder Epoche legen sie mit ihrer zickzackförmigen Fluchtlinie Zeugnis ab von ihrer bewegten Vergangenheit.
     
    Will man sich einen Eindruck von den Verwüstungen verschaffen, die der Bombenhagel in meiner Straße angerichtet hat, muss man sich eine Luftaufnahme aus dem Zeppelin vom Jahr 1928 ansehen, der an jenem Tag über den azurblauen Berliner Himmel schwebte. Man sieht darauf eine gerade, klare Linie, flankiert von robusten Gebäuden und ausladenden Bäumen. Das hat nichts zu tun mit dem heutigen, so verzagten Verlauf.
    Dort, wo einst die Nummern  1 und 2 standen, befinden sich ein Viereck aus gestampftem Boden, ein hölzerner Tisch mit Bank und eine Reihe Birken, um die Brandmauer der Nummer  3 gegenüber dem Sozialwohnungsblock etwas zu verdecken. «Privater Spielplatz. Nur für Mieter der Wohnanlage», verkündet das Schild. Eine überflüssige Warnung. Ich habe noch nie ein Kind in diesem Sandkasten spielen sehen. An der Fassade der Nummer  28 , Ende der
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