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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
Autoren: Pascale Hugues
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Andacht. Rund fünfzehn sind wir, die wir uns mit gekrümmten Rücken und einem eigentümlichen Vergnügen beharrlich über unsere Akten beugen, die verstreichenden Stunden und die hereinbrechende Nacht vergessend. Wir durchforsten den dichten Wald spröder Berichte, die die zahlreichen Ämter und Behörden unserer Stadt ohne Unterlass hervorzubringen scheinen. Wir driften ab. Gleiten in eine andere Epoche über. Im Lesesaal fließt die Zeit rückwärts, während sie draußen weiterrennt.
    Auf dem Vorsatzblatt der Bauakten meiner Straße manchmal der Name eines früheren Benutzers. Er scheint sich verirrt zu haben und hat rasch wieder kehrtgemacht. Meistens aber bin ich die erste, die sie konsultiert. Wer außer mir sollte sich für all diese lächerlichen, stur in chronologischer Reihenfolge geordneten und durch einen Baumwollfaden zusammengeknüpften Mitteilungen interessieren? Für diese seitenlangen statistischen Berechnungen, diese Pläne von Treppenhäusern, gewendelten Blechtreppen, Dachgeschossen, Trockenböden, Waschküchen, Garagen, Werkstätten und Remisen. Für diese in geschraubten Wendungen von der städtischen Tiefbaudeputation erteilte Baugenehmigung: «Nach Entnahme je eines Exemplars der Zeichnungen und eines Lageplanes, dass diesseits gegen das vorliegende Bauprojekt Bedenken nicht zu erheben sind, unter Voraussetzung, dass die in unserem Schreiben vom 12 . Februar 1900 g.  831  – 14 . Oktober 1903 –  VIII .b. 2627  – gestellten allgemeinen Vorschriften beachtet werden.»
    Für diese Rohbau-Abnahme, die 1905 der Prüfungskommissar Klaus Schneider an den Bauherrn Barth, nº  6 schickt: «Der Bau wurde in allen Teilen besichtigt und es fand sich zu bemerken: Trockenheit der Wände. Bewohnbarkeit des untersten Geschosses. Lüftung der Bedürfnisanstalten. Anlage der Feuerstätten u. Rauchröhre. Anputz hölzerner Wände u. Decken. Treppen und Schutzgeländer, Gitter und Kellerfenster, Drahtgitter.»
    Für diesen Garantieschein für die «Lieferung von schmiedeeisernen Trägern und gusseisernen Unterlagsplatten», diese Kostenvoranschläge, Versicherungspolicen, Rechnungen und Quittungen, Abrechnungen für den Kohlenverbrauch und die Nebenkosten für Fahrstuhl-Strom, Bescheinigungen «über die ordnungsgemäße Anbringung von Schutzvorrichtungen für die mit der Reinigung der Schornsteine betrauten Schornsteinfeger».
    Für diese Anfrage aus der Nummer  1 , den Fahrstuhl «ohne Begleitung des Fahrstuhlführers benutzen zu dürfen». Oder diese pingeligen Verweise auf Vorschriften und Verordnungen: «Für das Atelier im Dachgeschoss des Hauses nº  11 , dessen Fenster nach der Straße zu belegen sind, gewähre ich auf Grund des §  2 der Polizeiverordnung vom 5 . November 1912 eine Ausnahme von der Vorschrift des §  1 Ziffer  II a.a.O. Diese Ausnahme wird hinfällig, sobald der Atelierraum nicht lediglich als Arbeitsraum für Kunstmaler benutzt wird.»
    Für diese Bescheide an die Mieter: Herr Duds, nº  23 , wird informiert: «Wegen Einschränkung in der Warmwasserbelieferung wurden nachstehende Beträge an die Mieter zurückgezahlt bzw. mit der Festmiete verrechnet.»
    Für diese Belehrungen: «Wir teilen Ihnen höflichst mit, dass wir lt. Abkommen mit der Vereinigung deutscher Elektrizitätsfirmen auf unsere Arbeit eine Garantie von 1  Jahr übernehmen, wie Sie aus beiliegendem Schreiben ersehen können, und wir bedauern daher, eine 2 jährige Garantie nicht übernehmen zu können.»
    Für diese Klagen eines besorgten Mieters: «Vor circa 3  Wochen habe ich meinen Wirt Herr Robert Baer nº  11 darauf aufmerksam gemacht, dass der Stuck von den Fenstern jede Minute herunterstürzen würde. Herr Baer hat bis heute nichts von sich hören lassen. Heute Morgen stürzte nun von beiden Seidenwänden der Stuck gegen 7 ½ Uhr früh in den Garten und es ist ein Glück gewesen, dass die Inhaberin des Parterres nicht auf dem Balkon war.»
    Für diese Genehmigungsanträge verzagter Händler. Ich schmelze dahin angesichts solcher Unschuld: Am 14 . Februar 1927 bittet Frieda Heiter aus der Nummer  19 , Seifen- und Parfümerieartikel, mit ihrer Schrift mit den hohen Schleifen die Königliche Bau-Polizei um die Genehmigung, an der Fassade eine Reklametafel «nach beiliegender Skizze» anbringen zu dürfen. «Mein Seifengeschäft hat ohnehin schon eine sehr versteckte Lage und bringt mir nicht einmal die Monatsmiete ein, sodass ich gezwungen bin, Reklame zu machen. Ich bitte deshalb um gütige
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