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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut!
Autoren: Terry Pratchett
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Lacrimosa. Es war ein Mann, und er war ein ganzes Stück größer als die meisten Männer. Er trug einen Abendanzug, der einst modisch gewesen sein mochte. Graue Strähnen durchzogen das dunkle Haar, das straff über die Ohren zurückgekämmt war. Bei der Bestimmung der Kopfform schien aerodynamische Effizienz eine große Rolle gespielt zu haben.
    Sorgfältig manikürte Hände packten die beiden jüngeren Vampire an den Schultern. Lacrimosa drehte sich um und wollte den Mann kratzen, doch sie duckte sich, als er wie ein Tiger knurrte.
    Dann kehrte ein menschlicher Ausdruck in das Gesicht zurück, und der Neuankömmling lächelte. Er schien sich wirklich darüber zu freuen, die übrigen Anwesenden zu sehen.
    »Guten Morgen«, sagte er.
»Noch ein verdammter Vampir?« fragte Nanny.
    »Ef ift nicht irgendein Vampir!« Igor hüpfte aufgeregt vom einen Bein aufs andere. »Dort feht ihr meinen alten Herrn! Der Alte Rotauge ift zurück!«
    Oma stand auf und ignorierte den hochgewachsenen Mann, der die beiden plötzlich ganz fügsamen Vampire festhielt. Sie näherte sich dem Grafen.
    »Ich weiß genau, wozu du imstande bist und wozu nicht«, sagte sie. »Weil du mich in dein Innerstes eingeladen hast. Und das bedeutet, du kannst nur das tun, wozu auch ich in der Lage bin. Und du denkst wie ich. Der Unterschied besteht nur darin, daß ich schon länger wie ich selbst denke und mich deshalb besser darauf verstehe.«
    »Du bist Fleisch «, knurrte der Graf. »Schlaues Fleisch !«
    »Und du hast mich in dein Innerstes eingeladen «, sagte Oma. »Und ich gehöre nicht zu den Personen, die dorthin gehen, wo sie nicht willkommen sind.«
    Das Baby in den Armen des Grafen begann zu weinen. Er stand auf. »Wie sicher bist du, daß ich diesem Kind kein Leid zufüge?« fragte er. »Ich wäre dazu nicht fähig. Also bist du es ebenfalls nicht.« Der Graf verzog das Gesicht, als er mit seinen Empfindungen und
    auch mit Magrat rang, die ihn gegen das Schienbein trat.
    »Es hätte funktionieren können…«, sagte er, und zum erstenmal verschwand die Gewißheit aus seiner Stimme.
»Du meinst, es hätte für dich funktionieren können!« rief Agnes.
    »Wir sind Vampire. Wir müssen unserer Natur gehorchen.« »Nur Tieren bleibt keine andere Wahl, als ihrer Natur zu gehorchen«, sagte Oma. »Gibst du mir jetzt das Kind?«
    »Wenn ich…«, begann der Graf und richtete sich auf. »Nein! Ich brauche mich nicht auf Kompromisse einzulassen! Ich kann gegen dich kämpfen, so wie du gegen mich gekämpft hast! Und wenn ich diesen Ort verlasse… Bestimmt wagt es niemand, mich aufzuhalten. Sieh dich nur an… Seht euch alle an… Und seht mich. Und seht ihn.« Er nickte in Richtung des Mannes, der nach wie vor Vlad und Lacrimosa festhielt. Die beiden jungen Vampire waren so reglos wie Statuen. »Wollt ihr das?«
    »Entschuldigung, wer ist die Person, die wir ansehen sollen?« fragte Oma. »Oh, Igors ›alter Herr‹, nehme ich an? Vermutlich der alte Graf Elstyr?«
    Der alte Graf nickte würdevoll. »Zu deinen Diensten, Verehrteste«, sagte er.
»Das bezweifle ich«, erwiderte Oma.
    »Oh, gegen ihn hatte niemand etwas«, meinte Piotr, der bei den Bürgern von Eskrau stand. »Er kam nur alle paar Jahre und stellte kein Problem dar, wenn man den Knoblauch nicht vergaß. Er erwartete nicht von uns, daß wir ihn mögen .«
    Der alte Graf lächelte.
»Du wirkst vertraut. Du stammst aus der Ravi-Familie, nicht wahr?« »Ich bin Piotr, Herr. Der Sohn von Hans.«
    »Ah, ja. Sehr ähnlicher Knochenbau. Bitte empfehle mich deiner Großmutter.«
»Sie ist vor zehn Jahren gestorben, Herr.«
    »Ach, tatsächlich? Tut mit sehr leid. Die Zeit vergeht schnell, wenn man tot ist.« Der alte Herr seufzte. »Sie sah im Nachthemd sehr gut aus, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Oh, mit ihm war alles in Ordnung«, ließ sich jemand in der Menge vernehmen. »Ab und zu kam er auf den einen oder anderen Biß vorbei, aber damit wurden wir fertig.«
    »Das ist eine vertraute Stimme«, sagte der Vampir. »Bist du ein Weyzen?«
»Jaherr.«
    »Mit Arno Weyzen verwandt?«
»Er war mein Urgroßvater, Herr.«
»Guter Mann. Er brachte mich vor fünfundsiebzig Jahren um. Ein
    Pflock mitten durchs Herz, aus einer Entfernung von zwanzig Schritten. Du kannst stolz auf ihn sein.«
Ahnenstolz ließ das Gesicht des Mannes in der Menge erstrahlen. »Der Pflock hängt bei uns noch immer über dem Kamin, Herr«, sagte er.
»Bravo. Guter Mann. Es freut mich immer, wenn jemand die Traditionen
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