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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Autoren: Willibald Alexis
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– stellte sogar die Behauptung auf, während jede Seite in Schiller wenigstens ein nobles Sentiment enthalte, wisse sie keine einzige Sentenz in Goethe, welche die Seele rührt und erhebt. Dies fand doch Widerspruch, und man citirte aus der Iphigenie die Verse:
     
    Wehe dem, der fern von Eltern und Geschwistern,
    Ein einsam Leben führt, ihm zehrt der Gram
    Das nächste Glück von seinen Lippen weg.
    Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken
    Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne
    Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo
    Sich Mitgeborne spielend fest und fester
    Mit sanften Banden aneinander knüpften.
     
    Ein junger Mann mit blassem, ernstem aber etwas eingefallenem Gesicht recitirte die Verse mit Ausdruck. Man schwieg eine Weile. Als die Geheimräthin sie schön fand, drückten Alle ihre Bewunderung aus. Eine Dame hatte bis da geglaubt, sie rührten von Schiller her, sie hatte die Erhabenheit des Gefühls Goethe nicht zugetraut. Doch bemerkte sie, die Verse ründeten sich nicht so wie bei Schiller, und bei aller Schönheit fehle ihnen der schmeichelhafte Klang des Gefühls. »Aber er liegt in unserer Seele, und fühlt das Weh, das uns in der einsamen Brust verzehrt,« hatte die Geheimräthin gesagt, als sie sich abwandte. Man schien sich zu fragen, was sie damit meine? Ein alter Hofrath antwortete seiner etwas schwerhörigen Nachbarin: »Sie ist eine Adlige von Geburt, und mag's nun doch nicht recht verschnupfen, daß sie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum hält sie wohl das von ›seines Vaters Hallen‹ auf sich anzüglich. Aber Schloß Wustenau stand schon 1762
sub hasta
und sie ist auch gar nicht mal drin geboren; sie bildet sich's nur ein.« – Die Dame, vor Kurzem erst nach Berlin gekommen, war zufällig selbst eine adlige Offiziersdame, was der Hofrath vermuthlich nicht gewusst. »Wenn er ihr ein Sort gemacht hätte,« erwiderte sie, »das passirt wohl, aber wie ich höre, ist das Vermögen von ihr,
et voilà qui est bien curieux.
« – »Ja meine gnädige Frau,« erklärte der Hofrath, »als sie ihn heirathete, war sie ein blutarmes Fräulein, man hielt's für ein großes Glück, daß sie ihn kriegte. Erst nachher machte sie die große Erbschaft.« – »Ah! c'est ça,« sagte die gnädige Frau, und sagte nichts weiter.
    »Wie kommt es, daß man den Einsiedler einmal in Gesellschaft sieht,« sagte die Geheimräthin im Vorübergehen zu dem jungen Manne der die Verse gesprochen. »Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu lernen? Wer so in transcendentalen Regionen der neuen Poesie schwebt, gäbe auf die alten Dichter, dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr van Asten! Für ihn, wie Sie wissen, sind ja schon Goethe und Schiller Neuerer.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie vorübergeschwebt. In einem Kreise, wo man über Politik sprach, stritten sie sich, wer ein größerer Feldherr gewesen; Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die Parteien standen scharf gesondert. Der Geheimräthin kam das sonderbar vor; den Grund wusste sie sich nicht recht anzugeben. Das Gespräch ward ihr langweilig.
    Es gab aber noch einen andern Gegenstand. Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die Geheimräthin sah nicht allein in die Ferne, sie konnte auch dahin hören. Sie wusste genau, was gesprochen wurde, und daß sie, ihr Mann, dessen Bruder, das fatale Ereigniß der vorigen Nacht, den Stoff abgab. Vielleicht, daß sie eben darum die Gesellschaft besucht hatte, um zu zeigen, daß sie ohne Besorgniß war, oder – darüber hinweg.
    Aber es gefiel ihr nicht länger, daß das Gespräch verstummte, wo sie sich näherte. Wer spielt gern die Vogelscheuche! Bei einer Whistpartie fehlte durch einen Zufall der vierte Mann. Sie zeigte sich bereitwillig, die Karte zu übernehmen. Man erkannte das ganze Opfer, welches sie brachte. Sie versicherte, wenn sie durch ihr schlechtes Spiel das Vergnügen ihrer Mitspieler störe, so sei ihre Schuld doch nicht so groß als ihre Genugthuung, in so angenehmer Gesellschaft eine Stunde zu verbringen.
    Das Spiel prosperirte in der That nicht durch ihren Eintritt, aber wie die Mücken um den hellsten Lichtschein, sammelte sich um diesen Tisch die ambulirende Gesellschaft. Wer fühlte sich nicht geehrt der Geheimräthin Rath zu geben, die bei ihren Fragen vielleicht mehr Unschlüssigkeit verrieth, als in ihrem Charakter lag. Und wie liebenswürdig nahm sie ihn hin. »Sie ist die
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