Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf der Wildnis

Ruf der Wildnis

Titel: Ruf der Wildnis
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
durch die Wälder torkelte. Trotzdem war es ein harter Kampf, und in Buck erwachte eine Wildheit wie nie zuvor in seinem Leben. Als er zwei Tage später zum Kampfplatz zurückkehrte, fand er den Bären von einem Dutzend Vielfraße besetzt, die sich um die Überreste der Beute stritten. Mühelos zerstreute er sie, und jene zwei, die am Kampfplatz zurückblieben, mußten in alle Ewigkeit nicht mehr um ihre Nahrung kämpfen.
    Das Raubtier in Buck wuchs. Er riß sich seine Beute allein und ohne Hilfe. In einer feindlichen Umgebung, in der alles Schwache untergeht, blieb er der Sieger. Sein Stolz und Selbstvertrauen wurden immer größer und zeigten sich in allen seinen Bewegungen, im Spiel seiner Muskeln und verliehen seinem wunderschönen Fell einen noch glänzenderen Schimmer.
    Hätte er nicht die braunen Flecken auf seiner Schnauze und über den Augen gehabt und ein paar weiße Haarbüschel auf seiner Brust, man hätte ihn leicht mit einem riesigen Wolf verwechseln können. Von seinem Vater, dem Bernhardiner, hatte er die Größe und das Gewicht geerbt, von seiner Mutter, der Schäferhündin, stammten die Leichtigkeit und das schöne Aussehen. Seine Schnauze war etwas länger als die eines Wolfes, aber sein Kopf, wenn auch breiter, war der Kopf eines Wolfes, eines Riesenwolfes.
    Seine Schlauheit war die Schlauheit eines Wolfes, seine Intelligenz die Klugheit eines Schäferhundes und eines Bernhardiners. Dazu kamen seine Erfahrungen aus der Schule des harten, erbarmungslosen Nordlandes. Er war den wilden Tieren aus den Wäldern gleichwertig, ja überlegen.
    Alle Teile seines Körpers, alle Nerven und Muskeln waren wunderbar aufeinander abgestimmt, und zwischen allen diesen Teilen herrschte eine vollkommene Harmonie.
    Auf jeden Laut, auf jeden Vorfall, der eine Tat verlangte, reagierte Buck blitzschnell. Jede seiner Bewegungen war doppelt so schnell wie die der Polarhunde, Entschluß und Ausführung folgten fast gleichzeitig. Seine Muskeln strotzten von Vitalität und waren hart wie Stahlfedern. Wenn Thornton mit der Hand zärtlich über den Rücken des Hundes strich, spürte er ein Knistern, als wäre jedes einzelne Haar elektrisch geladen.
    »Nie gab es einen solchen Hund«, sagte John Thornton eines Tages zu seinen Gefährten, als er Buck im Lager herumstreichen sah.
    »Als er gegossen wurde, ging die Form entzwei«, meinte Pete.
    »Wahrhaftig, das glaub’ ich auch«, setzte Hans hinzu.
    Sie sahen ihn das Lager verlassen, sie sahen aber nicht die augenblickliche, schreckliche Veränderung, die mit ihm vorging, sobald ihn das Dunkel des Waldes aufnahm. Er schritt nicht mehr; auf einmal wurde er zum Raubtier, das katzenartig dahinschlich, zu einem gleitenden Schatten, der plötzlich auftauchte und wieder verschwand. Er wußte jede Deckung auszunutzen. Er kroch wie eine Schlange auf dem Bauch, und wie eine Schlange stieß er zu und tötete. Er holte sich das Schneehuhn aus dem Nest und das Kaninchen aus seinem Bau. Die kleinen gestreiften Erdhörnchen schnappte er sich im Flug, wenn sie eine Sekunde zu spät auf den nächsten Baum springen wollten. Er tötete, wenn er hungrig war, nicht aus Lust am Morden. Manchmal spielte er vergnügt wie ein junger Welpe, beschlich die Eichhörnchen, jagte sie und ließ sie wieder laufen, und er empfand eine diebische Freude, wenn sie laut schimpfend in die höchsten Wipfel der Bäume flüchteten.
    Als der Herbst kam, tauchten die Elche scharenweise auf und zogen langsam in die tieferen, weniger rauhen Täler, um dort zu überwintern. Buck hatte schon einmal ein vereinzeltes, halbwüchsiges Kalb niedergerissen, aber er wollte eine größere und gefährlichere Beute. Eines Tages stieß er auf eine Herde von zwanzig Tieren, die vom Land der Ströme und der Wälder über die Wasserscheide herübergewechselt waren. Das Leittier war ein außergewöhnlich mächtiger, großer Bulle, und da er sich obendrein in gereizter Stimmung befand, so konnte sich Buck keinen würdigeren Gegner wünschen. Nach allen Seiten stieß er mit seinen riesigen Schaufeln, seine kleinen Augen brannten bösartig, und als Buck auftauchte, fing er sofort zornig zu röhren an. Aus seiner Flanke ragte das gefiederte Ende eines Indianerpfeiles, und seine Wut war begreiflich. Buck hatte noch niemals mit einem Elch gekämpft, aber der Instinkt aus alten Jagdtagen einer urzeitlichen Welt leitete ihn. Er begann den Bullen von der Herde abzusondern, und das war keine leichte Aufgabe. Er bellte und tanzte um ihn herum, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher