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Ruf der Wildnis

Ruf der Wildnis

Titel: Ruf der Wildnis
Autoren: Jack London
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sie enthielt, ließ ihn in langen Sätzen weitereilen. Das Gefühl eines drohenden Unheils überkam ihn, eines Unheils, das vielleicht schon geschehen war, und als er dem Lager näher kam, wurde er immer vorsichtiger.
    Drei Meilen vorher stieß er auf eine frische Fährte. Seine Rückenhaare sträubten sich, und er bebte am ganzen Körper. Die Fährte führte zum Lager. Er hastete vorwärts, jeden Nerv aufs höchste angespannt. Seine Nase gab ihm eine Vorstellung von den Lebewesen, deren Fährte er folgte, und die Spur erzählte ihm eine Geschichte, nur deren Ende nicht! Er merkte das unheilvolle Schweigen im Wald. Die Vögel hatten sich verzogen, die Eichhörnchen waren in ihren Verstecken. Nur ein einziges sah er, einen schlanken, grauen Körper, der sich flach gegen einen grauen, toten Ast preßte und wie ein Teil davon erschien.
    Als Buck wie ein gleitender Schatten dahineilte, nahm er plötzlich etwas wahr, das ihn im vollen Lauf stoppte. Er folgte der neuen Witterung ins Dickicht und fand Nig. Der schwarze Hund lag ausgestreckt am Boden, und aus seinem Körper ragte ein mit Federn verzierter Pfeil.
    Hundert Schritte weiter stieß Buck auf einen der Schlittenhunde, die Thornton in Dawson gekauft hatte. Er wälzte sich noch im Todeskampf, und Buck umging ihn, ohne anzuhalten. Vom Lager drang ein schwacher, eintöniger Singsang, der bald anschwoll, bald wieder abebbte. Am Rande der Lichtung fand er Hans auf dem Gesicht liegend und mit Pfeilen bespickt wie ein Stachelschwein mit Stacheln. Buck aber starrte dorthin, wo die Hütte gewesen war, und was er sah, trieb seine Haare auf den Schultern senkrecht in die Höhe. Eine rasende Wut packte ihn. Er wußte nicht, daß er heulte, aber er heulte laut auf mit einer schrecklichen Wildheit. Zum letztenmal in seinem Leben trug die Leidenschaft den Sieg über die Klugheit und Vernunft davon, und es war um seiner großen Liebe zu John Thornton willen, daß er nicht mehr wußte, was er tat.
    Es waren Yeehats-Indianer, die vor der niedergebrannten Hütte tanzten und sangen. Sie hörten das unheimliche Geheul und sahen ein Tier auf sich zuspringen, wie sie noch niemals eines gesehen hatten. Buck warf sich, gleich einem lebenden Hurrikan, in wahnsinniger Wut auf sie. Er sprang den vordersten Mann an – es war der Häuptling – und riß ihm die Kehle auf, und als aus der aufgeschlitzten Gurgel eine Blutfontäne hervorschoß, warf er sich auf den nächsten und dann wieder auf einen und noch einen. – Nichts konnte ihn aufhalten. Er tobte inmitten der Indianer, riß, zerfleischte und vernichtete. So schnell und rasend waren seine Bewegungen und so dicht standen seine Opfer, daß sie sich mit ihren Pfeilen nur gegenseitig trafen. Ein junger Krieger warf seinen Speer auf Buck, als ihn dieser anspringen wollte, und traf statt des Hundes einen Indianer mit solcher Gewalt, daß der Speer sich durch den ganzen Körper bohrte. Die Yeehats ergriff ein panischer Schrecken, halb gelähmt vor Angst flohen sie in die Wälder und glaubten, ein böser Geist sei auf ihren Fersen.
    Und Buck sah wirklich wie ein Teufel aus; er riß sie auf ihrer Flucht wie Rehe nieder. Es war ein schwarzer Tag für die Yeehats. Sie zerstreuten sich weit und breit über das Land, und erst eine Woche später sammelten sich die letzten Überlebenden in einem niedriger gelegenen Tal.
    Buck war der Verfolgung müde geworden. Als er in das verlassene Lager zurückkehrte, fand er Pete, der im ersten Augenblick der Überraschung schlafend in seinen Decken ermordet worden war. Thorntons Verzweiflungskampf las er aus den Fußspuren im Sand, die er bis zum Rand eines tiefen Tümpels verfolgte. Am Ufer lag Skeet, Kopf und Vorderfüße im Wasser, treu bis in den Tod. Was das trübe Wasser selbst enthielt, war nicht zu sehen, aber Buck wußte das Geheimnis, denn John Thorntons Spuren führten hinein, aber nicht mehr heraus.
    Den ganzen Tag verbrachte Buck beim Tümpel oder streifte ruhelos im Lager umher. Der Tod war das Ende jeder Bewegung, jeden Lebens, er wußte es. Und er wußte, daß sein Herr tot war. Dieses Wissen hinterließ in ihm eine große Leere, es war wie Hunger, aber es war ein Hunger, der weh tat und der niemals mehr gestillt werden konnte. Wenn er stehenblieb und die Leichen der Yeehats betrachtete, vergaß er diesen Schmerz und ein unbändiger Stolz trat an seine Stelle, ein Stolz, wie er ihn noch nie gefühlt hatte. Er hatte Menschen getötet, das edelste Wild, und er hatte sie getötet nach dem Recht des
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