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Ruf der Vergangenheit

Ruf der Vergangenheit

Titel: Ruf der Vergangenheit
Autoren: Nalini Singh
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dunkle Augen … und eine Art sich zu bewegen, die sie an ein Raubtier erinnerte: geschmeidig, stets auf der Hut und unvorstellbar gefährlich.
    Doch dieses Raubtier steckte in einem perfekt sitzenden schwarzen Anzug.
    Tarnung, dachte sie, sie durfte sich nicht in Sicherheit wiegen. „Nein. Es ist der Name … So heiße ich nicht.“ Sie konnte nicht recht erklären, was sie damit meinte, konnte die Mauer in ihrem Kopf nicht mit Worten durchbrechen. „Nicht mehr.“
    Sie hätte erwartet, dass er ihre Erklärung einfach abtun würde, aber er lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen, steckte die Hände in die Hosentaschen und fragte: „Gefällt Ihnen ein anderer besser?“
    Niemand hatte ihr je die Wahl gelassen … schon lange nicht mehr. Das wusste sie. Doch sobald sie nach Einzelheiten darüber greifen wollte, glitten sie ihr durch die Finger, so flüchtig wie der Nebel, den sie als Kind auf dem Gesicht gespürt hatte.
    Sie hielt den Erinnerungsfetzen fest, suchte verzweifelt nach dem kleinsten Hinweis, wer sie gewesen sein konnte, wer sie war, fuhr innerlich die Krallen aus, um den Schleier wegzureißen.
    Nichts. Nur Leere.
    „Nein“, sagte sie. „Nur bitte nicht diesen.“ Der Schattenmann hatte ihn benutzt. Seine Stimme suchte sie heim. Sagte ein ums andere Mal diesen Namen. Und dann folgte der Schmerz. Großer, nicht enden wollender Schmerz. Bis sie aus dem Traum hochfuhr, überzeugt davon, er habe sie gefunden und wieder in dieses Loch gesteckt, dieses Nichts.
    „Wie klingt Trina?“ Devs Stimme holte sie in die Gegenwart zurück, ihr wurde bewusst, dass ein Mann bei ihr war, den sie nicht kannte, der ebenfalls ein solcher Schatten sein konnte. „Das wäre ähnlich genug, um Erinnerungen wachzurufen.“
    Ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Viel zu ähnlich.“
    „Kate?“
    Sie überlegte. Zögerte.
    „Katya?“
    Noch nie hatte jemand sie so genannt, das wusste sie. Es fühlte sich neu an. Frisch. Lebendig. Ekaterina war tot. Katya lebte. „Ja.“
    Dev kam näher, und ihr fiel zum ersten Mal auf, wie groß er war. Er bewegte sich mit einer solchen Eleganz, man übersah leicht, dass er über einen Meter neunzig maß und breite Schultern hatte, die mühelos das Jackett ausfüllten. Er war nicht nur groß, sondern auch sehr muskulös – dieser Mann wäre in der Lage, ihr jeden Knochen im Leib zu brechen, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen.
    Sie hätte Furcht empfinden sollen, aber Devraj Santos strahlte eine solche Energie aus, war so bodenständig, so von dieser Welt, dass sie seine Nähe wünschte. Er war kein Schatten. Wenn überhaupt, dann würde er sie aus rein sachlichen Gründen töten. Würde sie weder foltern noch quälen. Deshalb ließ sie es zu, dass er näher kam, die Hand hob und mit den Fingern in ihr Haar fasste; der frische Geruch seines Aftershaves drang durch ihre Poren, hüllte sie vollkommen ein.
    Unwillkürlich neigte sie sich vor, als er sagte: „Das müssen Sie ausbürsten.“
    „Gewaschen habe ich es schon.“ Sie nahm eine Bürste, kämpfte gegen das Bedürfnis an, die gerade gefundene Selbstbeherrschung aufzugeben. „Aber es ist so verfilzt, dass ich nicht durchkomme. Vielleicht sollte ich es einfach abschneiden.“
    „Geben Sie her.“ Er nahm ihr die Bürste aus der Hand und drängte sie zum Bett hinüber.
    Die Berührung durchfuhr sie wie ein Blitzschlag, widerstandslos gehorchte sie, setzte sich jedoch auf einen Stuhl. „Hier gibt es keinen Sonnenschein.“ Sonnenschein. Sunshine . Das Wort hallte in ihrem Kopf wider. Sunshine . Ein Stich im Herzen zeigte ihr, dass sie etwas Wichtiges vergessen hatte. „Keinen Sonnenschein“, flüsterte sie erneut, doch das Echo in ihrem Kopf wurde leiser, verlor sich im Nebel.
    „Draußen schneit es“, sagte Dev. „Aber die Sonne zeigt sich von Zeit zu Zeit – wir sind hier nur zu tief unter der Erde.“ Als sie sich gesetzt hatte, stellte er sich hinter sie und begann ihr Haar zu bürsten. Die Geduld, mit der er die Knoten entwirrte, überraschte Katya.
    Einem Teil von ihr war die ganze Zeit bewusst, dass die sanften Finger sie genauso gut töten konnten. Dennoch hielt sie still, lieferte sich ihm aus; es kitzelte sie im Nacken, wenn seine Finger ihn streiften. Weiter, hätte sie gerne gesagt, nur nicht aufhören. Stattdessen umklammerte sie mit ihren Fingern den Stuhl, um nicht darum zu betteln, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr sie die Berührung brauchte. Der stählerne Rahmen wurde warm unter ihren Händen.
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