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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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und gelegentliche Telefongespräche, um in Erinnerung zu rufen, dass man noch lebte.
    Seinen spontanen Entschluss mitzufahren hatte Eschenbach nie bereut. Es war der Selbstmord seiner Chefin Elisabeth Kobler gewesen, der ihm damals die Augen geöffnet hatte: Es war Zeit für eine Pause. Mindestens acht Wochen, hatte er Corina gesagt. Es war ein Versprechen gewesen. Mindestens.
    »Bricht die Welt auseinander?«
    Eschenbach schüttelte den Kopf. »Rosa wusste nichts Genaueres. Aber sie hat ein gutes Gespür … Jedenfalls sieht es so aus, als laufe etwas gewaltig schief bei uns im Laden.«
    »Und dieser Bank, der dich nächste Woche treffen wollte?« Corina zuckte vorwurfsvoll mit den Schultern. »Daraus wird jetzt wohl auch nichts.«
    »Banz«, korrigierte Eschenbach. »Jakob Banz – ich habe heute Morgen eine SMS von ihm bekommen. Er ist bereits hier und will uns einladen, heute Abend ins Pan Pacific.«
    Den kurzen Weg zurück ins Hotel gingen sie zu Fuß. Eschenbach telefonierte im Gehen, konnte Banz aber nicht erreichen. »Vielleicht sollten wir diesen Termin einfach abblasen«, murmelte er. »Es ist unser letzter Abend, bevor ich zurückfliege.«
    »Wart ihr denn nicht befreundet, ich meine, damals auf dem Gymnasium?«
    »Das war vor über dreißig Jahren!« Eschenbach verlang­samte seinen Schritt und nahm Corina die Einkaufstüten ab. »Ich habe keine Ahnung, weshalb er mich sprechen will.«
    »Also keine Freunde?«
    Eschenbach beschleunigte seinen Gang: »Jakob trug schon mit dreizehn rahmengenähte Schuhe. Englische, aus schwerem schwarzem Leder.«
    »Und du?«
    »Turnschuhe.«
    Corina hatte Mühe, mit Eschenbach Schritt zu halten.
    Sie bogen in die Bidwell Street ein, eine Seitenstraße der Robson, und steuerten auf das kleine Hotel zu, in dem sie die letzten drei Tage verbracht hatten.
    »Obwohl er nicht die besten Noten hatte, ist Jakob Klassensprecher geworden. He’s got balls würde man auf Englisch sagen. Und ich kann mich nicht erinnern, dass einer der Lehrer ihn jemals geduzt hätte.«
    Corina, die sich für die letzten Meter bei Eschenbach einge­hakt hatte, schmunzelte. »Freund oder Rivale – ich kenne dich doch. So wie du von diesem Banz sprichst, bleiben nur diese beiden Möglichkeiten.«
    »Ich sag nichts.« Eschenbach, der bemerkt hatte, dass ihm ein Schweißtropfen den Rücken hinunterlief, verlangsamte seinen Schritt. Er konnte Corina nichts vormachen, nicht nach all den Jahren (waren es fünfzehn oder sechzehn?). Sie kannte ihn in- und auswendig. Aber das war kein schlechtes Gefühl, fand Eschenbach. Selbst dann nicht, wenn sie ihn ertappte, wie gerade eben.
    »Jakob Banz hat die perfekte Karriere hingelegt«, sagte er schließlich, als sie in der Lobby auf den Fahrstuhl warteten. »Er spielte Tennis, verkehrte mit den richtigen Leuten. Jakob hatte von Anfang an einen Plan. Und zu diesem Plan gehörte Anne-Christine Duprey … eine Bankierstochter. Zusammen mit ihr ging’s ganz nach oben.«
    »Und die hat er geheiratet?«
    Der Kommissar nickte. Er drückte ein zweites Mal auf den Liftknopf.
    »Hochzeit im Grossmünster … und danach eine Riesenparty im Dolder. Wir waren alle eingeladen damals, die ganze ehemalige Klasse, auch die Lehrer. Hemmungslos haben die sich den Ranzen vollgeschlagen … Und um Mitternacht hat es ein Feuerwerk gegeben, wie am Seenachtsfest. Eine halbe Stunde hat’s gekracht … Das hab sogar ich gehört, unten an der Limmat.«
    »Du bist nicht hingegangen?«
    Eschenbach schüttelte den Kopf, dann lachte er: »Ich hab mich volllaufen lassen … auf einer Parkbank beim Landesmuseum.«
    »Wegen dieser Anne-Christine Dings?«
    »Bum!«, machte Eschenbach. »Bum, bum, bum … Bei mir im Kopf und oben am Himmel. Herrgott, war ich ein Arschloch!«
    Die Klimaanlage röchelte eiskalt an der Decke, und Corina stand da, als wisse sie nicht recht, ob sie mitlachen sollte. Als der Aufzug kam, stiegen beide wortlos zu – und in Gesellschaft dreier älterer Damen aus Alliance, Nebraska, fuhren sie in die achte Etage.
    Nachdem sie geduscht und sich für den Abend frisch angezogen hatten, bestand Corina darauf, dass Eschenbach für den kurzen Weg ins Pan Pacific ein Taxi rief. Wegen ihrer neuen Schuhe, argumentierte sie; und weil sie das frisch erstandene Kleid (es war die Strawberryfields-Variante) mit einem Fußmarsch nicht »verschindludern« wollte.
    Eschenbach wäre lieber zu Fuß gegangen. Er mochte den lauen Abendwind, der vom Pazifischen Ozean her wehte, und
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