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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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persönliche Mitarbeiterin von Jakob Banz …«, sagte Judith. »Oder besser gesagt, ich war es. Sie kennen Jakob Banz, nicht wahr?«
    »Banz … doch, ja«, wiederholte Eschenbach etwas verwirrt. Er atmete tief durch. »Banz kenne ich.«
    Judith schwieg eine Weile. Aber ihr Blick wich Eschenbach nicht aus. Lange und ruhig sah sie ihn an.
    Der Kommissar fand, dass etwas Seltsames in diesen hellen grünen Augen lag. Sie zeigten keinerlei Unsicherheit oder Nervosität. Kein Flackern. Sie waren ruhig und klar. Eschenbach war, als würde dieses Augenpaar nicht recht zum Rest dieses jungen, ebenmäßigen Gesichts passen.
    In den vielen Verhören, die Eschenbach in seinem Leben geführt hatte, war ihm dieser Blick nur bei abgeklärten, hartgesottenen Burschen begegnet. Und bei alten Menschen, die in ihrem Leben alles schon gesehen hatten.
    »Was ist mit Banz?«, fragte Eschenbach.
    »Banz ist tot«, sagte sie.
    Der Kommissar wollte den Kopf schütteln. Aber Judiths Hand legte sich auf seine Stirn, so als wollte sie verhindern, dass er sich bewegte.
    »Bleiben Sie ruhig«, sagte sie.
    »Tot …«, murmelte Eschenbach. Er schloss die Augen.
    »Ja, tot.«
    Eschenbach fühlte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog. Er wollte atmen, tief Luft holen, weil das alles gar nicht sein konnte. Banz lebte. Gerade eben noch hatte er ihn anrufen wollen. Anrufen, um ihm etwas Wichtiges zu sagen. Aber was?
    »Sie dürfen sich nicht aufregen«, sagte Judith.
    Der Kommissar spürte, wie sich seine Brust weiter verengte. Er hatte das Gefühl, in ein Loch zu fallen; in ein Grab, das man nun langsam zuschaufeln würde.
    Wie durch Watte hörte er Judith rufen: »Peter!« (Oder war es »Pater!«?) Eine Tür ging auf, und ein kühler Luftzug streifte sein Gesicht. Jemand setzte sich neben ihn.
    Judiths Hand kehrte zurück auf seine Stirn. »Tun Sie etwas, um Gottes willen!« Ihre Stimme klang fest und klar, wie die eines Regimentskommandanten an einem kühlen Novembermorgen. Ihre Hand zitterte nicht.
    Wie durch einen dunklen Tunnel hindurch sah Eschenbach ein zottiges Bärengesicht. Die kleinen bernsteinfarbenen Äuglein waren trüb und leblos. Dann spürte er den Einstich einer Nadel in der rechten Armbeuge, und ein weicher, warmer Strom floss ihm zur Schulter hinauf und etwas später direkt ins Herz.
    Rote Sterne leuchteten ins dunkle Grabloch.
    »Wenn er stirbt, bin ich verloren«, sagte Judith.
    Aber Eschenbach hörte sie nicht mehr.

Kapitel 3
    Weit weg
    Neun Tage zuvor, in Vancouver, British Columbia.
    E in gellender Schrei drang bis hoch hinauf zum Bergkamm. Ein Schrei, wie ihn der Kommissar noch nie in seinem Leben vernommen hatte. Das Tier bäumte sich auf, streckte sich mit mächtiger Pose in den von Wolken geschwärzten Himmel. Der zottige Koloss ging die letzten Schritte auf zwei Beinen, aufrecht wie ein Mensch.
    »Das ist dein Telefon«, sagte Corina etwas gereizt. »Hörst du es wirklich nicht, oder tust du nur so?«
    Kommissar Eschenbach spürte mit Bedauern, wie er aus seinem Gedankenfluss gerissen wurde und sich plötzlich auf dem Stuhl wiederfand, auf dem er an diesem Nachmittag schon eine ganze Weile gesessen hatte. Sein rechtes Augenlid zuckte.
    Es war Frank Steffl gewesen, ein ausgewanderter Deutscher und passionierter Jäger, bei dem sie in Kamloops zu Gast gewesen waren, der ihm die Geschichte mit dem Grizzly erzählt hatte. Wie er das Tier auf den letzten Metern gerade noch erwischt hatte.
    Eschenbach hatte seitdem viel nachdenken müssen über diesen letzten Augenblick im Leben des Bären. War es der Schmerz, der das Tier dazu bewog, sich aufzurichten; oder war es der Instinkt des Mächtigen, sich im Anblick des Todes zu erheben und in voller Größe seinem Widersacher gegenüberzutreten?
    Der Kommissar sah auf den Stuhl neben ihm. Sein dunkelblaues Leinenjackett lag dort und vermochte den Klingelton seines Handys nicht zu dämpfen. Vermutlich wieder dieselbe Nummer, dachte er. Ein weiteres Mal nachschauen wollte er nicht.
    »Warum nimmst du nicht einfach ab?«, fragte Corina. »Das geht jetzt schon den ganzen Tag so.« Sie hatte die Globe & Mail zur Seite gelegt und ihn eine Weile angesehen. »Das ist doch kindisch, so was.«
    Eschenbach zuckte die Schultern. »Was denn?«
    »Dein Handy!« Seine Frau bedachte ihn mit einem Augenaufschlag. »Ich hör’s doch brummen – da, bei dir im Jackett!« Sie deutete mit der Hand auf die Stelle neben Eschenbach. »Die ganze Zeit schon.« Sie schüttelte den Kopf. »Und später
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