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Rügensommer

Rügensommer

Titel: Rügensommer
Autoren: Aufbau
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als wohne dahinter der Leibhaftige persönlich. »Es war nett, Sie kennenzulernen.«

3.
    Die nächsten Tage verbrachte Deike damit, sich im Büro einzuarbeiten. Meistens blieb sie dort nur bis zur Mittagspause und beschäftigte sich am Nachmittag mit einer der Touristenattraktionen, über die sie natürlich Bescheid wissen musste. Sie fing mit dem an, was in der Nähe lag, wie zum Beispiel der Rasende Roland, den Herr Duschel so liebte. Von Bergen nahm sie die Bahn nach Putbus. Dort konnte sie in den Roland steigen, einen alten Dampfzug, der zwar auch noch als normales Verkehrsmittel genutzt wurde, vor allem aber wohl ein Gästemagnet war. Die Fahrt nach Sellin würde etwa eine Stunde dauern. Deike würde sich den Ort ansehen, zurück nach Putbus dampfen und von dort bequem nach Hause fahren. Ein guter Plan.
    Das Bahnhofsgebäude war liebevoll gestaltet. Deike, die sich mit Eisenbahnen im Allgemeinen und Spurweiten im Speziellen nicht im Entferntesten auskannte, fand, dass die Gleise an eine Bimmelbahn in einem Freizeitpark erinnerten. Sie kam sich vor wie in Liliput. Auch eine große Attraktion fiel auf dieser Insel eben klein aus. Daran würde sie sich gewöhnen müssen. Immerhin schien sie Glück zu haben. Die Bahnsteige waren ziemlich voll. Scharenweise liefen Männer herum, die mit hochwertigen Kameras und Objektiven ausgerüstet waren. Das musste bedeuten, dass hier heute etwas Besonderes los war. Entsprechende Aushänge oder Plakatekonnte sie nicht entdecken, aber die Aufregung unter den Männern war deutlich zu spüren.
    Sie sprach einen Schaffner an: »Entschuldigung, was ist denn hier heute los?«
    Sie erntete einen Blick, als hätte sie nach der Ankunftszeit einer fliegenden Untertasse gefragt.
    »Was soll los sein?«, brummte der Mann, der sich in seiner blauen Uniform einschließlich Mütze offenbar sehr wichtig vorkam.
    »Na, es liegt doch auf der Hand, dass die Leute hier gleich eine Besonderheit erwarten.« Deike hatte keine Lust, sich von diesem Kerl veralbern zu lassen. Wenn er meinte, er sei etwas Besseres mit seinem Outfit und als vermutlich in x-ter Generation auf Rügen Geborener, dann hatte er sich aber geschnitten. »Zufällig stehen die wohl kaum mit dem Fotoapparat im Anschlag hier herum«, setzte sie patzig nach.
    Ein breites Grinsen erschien auf dem runden Gesicht des Schaffners.
    »Stimmt, zufällig steht hier niemand rum.« Er sah kurz an ihr vorbei und ergänzte: »Da kommt die Besonderheit.«
    In der Ferne war ein rhythmisches Schnaufen zu hören, dann ein Tuten, wie sie es noch nie gehört hatte. Sie konnte dicken grauen Qualm erkennen. Die Männer waren noch aufgeregter geworden, liefen aneinander vorbei, um einen freien Blick auf den einfahrenden Zug zu haben. Jeder wollte am dichtesten an das Motiv herankommen und anscheinend bloß keinen Menschen mit auf sein Bild bekommen. Deike fiel auf, dass die eindeutig in der Unterzahl vertretenen Frauen deutlich entspannter wirkten. Die eine oder andere hatte auch eine Kamera zur Hand, allerdings schienen sie es nicht eilig zu haben, die besten Aufnahmen zu schießen.
    Allmählich schälte sich aus dem Qualm eine schwarze Lokomotive.
    »Eine BR 99«, rief jemand verzückt.
    »Was sonst?«, fragte ein anderer mit unverhohlener Verachtung in der Stimme.
    Der Nächste erklärte seiner gänzlich uninteressierten Frau: »Das ist die 4802-7, die hat uns gestern auch nach Göhren gebracht.«
    Deike hörte mit gespitzten Ohren zu, während die Lok sich fauchend näherte.
    »Ein Vierkuppler, siehst du?« Der Mann versuchte verzweifelt, das Interesse seiner Frau doch noch zu gewinnen.
    »Man spricht von einem D-Kuppler«, korrigierte ihn ein kleiner Kerl, der eine Kamera mit überdimensionalem Objektiv um den Hals trug. Es war erstaunlich, dass er das Gleichgewicht halten konnte und nicht vornüberkippte. Hektisch blickte er ständig von einer Seite des Bahnsteigs zur anderen, um nur ja nichts zu verpassen.
    »Eine Köf, eine Köf«, rief er plötzlich und lief, die Kamera hoch reißend, in die entgegengesetzte Richtung des eingefahrenen Zuges.
    Deike begriff, dass das Aufgebot bahnbegeisterter Männer zum Alltag gehörte und keiner herausragenden Attraktion bedurfte. Sie musste schmunzeln. Gut, so ein altes Dampfross hatte schon etwas Faszinierendes an sich und erinnerte an Jim Knopf. Die grün-beigen Abteile waren in ihren Augen jedoch nicht gerade dekorativ. Nein, so recht konnte sie die Aufregung und die ungezügelte Begeisterung der Herren
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