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Rügensommer

Rügensommer

Titel: Rügensommer
Autoren: Aufbau
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spektakulären Ausblick an der Lok vorbei auf die vorüberziehende Landschaft, den hübschen Schmachter See mit seinem schilfbewachsenen Ufer und den Bahnhof von Binz den Rücken zu, um sie ansehen zu können. Auch sein Lächeln signalisierte doch wohl eindeutig Interesse.
    Bevor Deike in Sellin den Zug verließ, erwähnte sie noch einmal ganz beiläufig
Rügen aktuell
und dass die Redaktion in Bergen sei. Vielleicht war er einfach nur schüchtern und ärgerte sich selbst später, dass er sich nicht mit ihr verabredet hatte. Dann konnte er sie wenigstens erreichen. Sie musste an Natty denken. Ihre Schwester hätte nicht lange um den heißen Brei herumgeredet, sondern ihm ganz direkt ein Rendezvous vorgeschlagen. In ihre Gedanken versunken folgte Deike der Beschilderung in Richtung Strand. Sie schlenderte eine kopfsteingepflasterte Straße hoch, die über dem Meer zu enden schien. Die Ostsee tauchte am Horizont auf, dunkelblau und mit kleinen sanften Wellen. Linker Hand erhob sich ein schickes Hotel, pastellfarben-sonnig,mit einem Turm, von dem man mit Sicherheit eine traumhafte Aussicht auf das Meer hatte. Sie blickte auf das Türmchen mit seinem umlaufenden Balkon. Dort stand ein Paar. Er hielt sie im Arm und deutete mit der freien Hand hinaus auf das Wasser. Wenn das da oben mal nicht die Hochzeits-Suite war, ging es Deike durch den Kopf. Sie folgte unwillkürlich mit dem Blick in die Richtung, in die der Mann auf dem Balkon zeigte, und sah zum ersten Mal die Seebrücke.
    »Ist die schön!«, flüsterte sie. Ihre Schwester hatte einen guten Geschmack, das war nicht zu leugnen. Die eigentliche Brücke führte vom Fuß der steilen Holztreppe, an der Deike jetzt angekommen war, zu einem strahlend weißen Gebäude, das auf Stelzen in der Ostsee stand. Mit seinen runden Sprossenfenstern, den Spitzen, Türmchen und Pavillons sah es aus wie ein Märchenschloss. Sie fühlte sich wie ein Filmstar, als sie die Stufen hinabstieg und über die Brücke schritt. Eine Frau, die ihr entgegenkam, lächelte sie herzlich an. Deikes Herz machte einen Hüpfer. Schön hier! Sie sollte Hartmann anrufen und ihm für diese Stelle danken. Sie atmete die salzige Luft noch einmal tief ein, blickte über die seichten Wellen, schob ihre Sonnenbrille ins Haar und betrat das Restaurant.
    Auch die Kellnerin, die gleich die Bestellung aufnahm, war extrem freundlich. Deike fragte sich, was Nachbarin Duschel an den Einheimischen so schwierig fand. Ihr erschienen sie offen und viel lustiger als die Leute in Frankfurt oder Berlin.
    »Na, mit dem Roland gekommen?«, wollte die Kellnerin wissen.
    Deike war zuerst überrascht, dachte dann aber, dass das Personal mit Sicherheit den Fahrplan kannte.
    »Ja«, bestätigte sie. »Das war wirklich eine schöne Tour. Hätte ich nicht gedacht.«
    »Das war wohl Ihre erste Fahrt?«
    Deike nickte. »Aber bestimmt nicht die letzte«, fügte sie fröhlich hinzu. Dann bestellte sie Ostseedorsch und Sanddornsaft und ließ sich den Weg zur Toilette erklären. Im Sanitärbereich nahm sie aus dem Augenwinkel ihr Spiegelbild wahr und erschrak. Sie trat hastig an eines der Waschbecken heran und starrte ihr Konterfei an. Deshalb hatte Silvio also die ganze Zeit gegrinst, dieser Mistkerl. Hätte er ihr nicht einen kleinen Tipp geben können? Deikes Gesicht war vom Ruß der Dampflok geschwärzt. Nur der Bereich um die Augen, der von der Sonnenbrille geschützt war, trat als weißes Oval daraus hervor. Sie sah aus wie eine Eule!
    Wenn ich so weitermache, habe ich bald die gesamte Tierwelt durch, dachte Deike und begann, ihr Gesicht zu waschen. Ihre hellblaue Bluse hatte auch ordentlich Dreck abbekommen. Nun gut, wenn sie die Jeansjacke bis oben zuknöpfte, fiel es nicht gleich auf. Während sie sich rasch bewegte, rieselte immer mehr Asche aus ihren Haaren, die nicht mehr blond, sondern eher grau aussahen.
    Von wegen, das Personal kennt den Fahrplan. Und das Lächeln von der Frau auf der Brücke war auch nicht herzlich, sondern belustigt gewesen. Nie wieder würde Deike den ersten Wagen hinter der Lok besteigen, das schwor sie sich.
    »Sagen Sie, ist es eigentlich ein spezielles Vergnügen der Rügener, sich über ihre Gäste lustig zu machen?«, fauchte sie die Kellnerin an, als diese den Fisch servierte.
    »Wieso, was meinen Sie?« Die Frau tat wirklich überzeugend unschuldig.
    »Hätten Sie mir nicht sagen können, dass ich aussehe wie ein Schornsteinfeger?«
    »Ich dachte, das wüssten Sie. Woher hätte ich sonst
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