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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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Fenster weit auf. Ich will, dass sie mich sehen aus der Mitte der Nacht. In ein paar Stunden wird eine weiße Helligkeit am Horizont sein. Die ersten Vögel. Verzeihendes Licht. Ein neuer Tag, und ich noch am Leben.
    *
    Es war keine Explosion, die mich geweckt hat, sondern ihr Echo. Die ewige Erinnerung an diese Mischung aus zehn Kilo Ammoniumnitrat, Diesel und TNT, die Jim in einer eisernen Mülltonne voller Nägel, Bolzen, Eisenspäne, Glassplitter und Stahlkugeln zusammengebraut hat.
    Das war Ende Oktober 1981. Der Hungerstreik war ein paar Tage zuvor beendet worden. Wir lechzten nach Vergeltung. Jim hatte drei ähnliche Bomben gebaut, die im ersten Stock eines verfallenen Hauses in den Divis Flats versteckt waren. Der Logistik-Verantwortliche hatte ihn um eine Fernsteuerungsvorrichtung gebeten. Die erste Bombe sollte am 11. November explodieren, um die Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs zu stören. Die IRA hatte beschlossen, dass das Attentat während des Empfangs im Rathaus auf einem Parkplatz ein paar Straßen weiter stattfinden sollte.
    Ich habe Bomben nie gemocht. Für mich war »Bombe« seit dem Weltkrieg und dem Luftkrieg über Belfast ein deutsches Wort. Mir gefällt die Vorstellung von einem programmierten Tod nicht.
    »Bomben sind die Waffen der Armen«, verteidigte sich Jim.
    Im Rausch sagte er einmal, ein Bombenleger sei ein Fragensteller. Der ganze Pub lachte. Ich nicht. Eine Bombe tötet nicht, sie schändet Leichen. Zerreißt und zerstückelt sie. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Seele das überlebt.
    Ich rief Waldner am 5. November an. Rendezvous auf dem Friedhof, am Grab unseres Patrioten. Ich hätte da was für ihn, aber er solle seine Zusage erneuern. Interessiert sah er mich an. Keine Verhaftungen? In Ordnung. Darüber hätten wir ja bereits gesprochen. Die Zusage gilt? Sie gilt.
    »Die IRA plant etwas für den 11. November.«
    Der MI5-Agent wurde bleich. Automatisch richtete er die red poppy an seinem Kragen, eine Mohnblume aus Papier zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten.
    »Was?«
    »Einen Bombenanschlag. Während der Feierlichkeiten.«
    Die Gedenkveranstaltung würde um elf Uhr beginnen. Die Bombe um elf Uhr dreißig gezündet werden, während der Reden. Sie sollte niemanden verletzen, aber mit ihrem Explosionslärm die Feier übertönen.
    »Wo wird sie platziert?«
    »Nein. Ihr kriegt von mir die Bombe, nicht die Einheit.«
    Es sei ziemlich ungefährlich. Ein verfallenes Haus in Lower Falls. Drei unter dem Schutt verborgene Mülltonnen. Selbst wenn die IRA Späher hatte, würde sie nicht eingreifen. Man fängt keinen Kampf an, um Material zu retten.
    »Keine Gefahr für dich?«, fragte Waldner.
    Ich war gerührt. Ich war also nicht mehr nur Opfer seiner Erpressung, sondern auch Gegenstand seiner Sorge.
    »Macht ihr keine Routinekontrollen in den Ruinen?«
    »Tag und Nacht«, lächelte der Engländer.
    »Die IRA wird nur finden, dass ihr verdammtes Glück habt.«
    Waldner verabschiedete sich eilig. Er war nervös. Er reichte mir die Hand, wirklich. Wie man seinesgleichen behandelt.
    Als wir uns trennten, fühlte ich etwas Merkwürdiges. Nie hätte ich es mir eingestanden. Aber an diesem Tag und noch ein paar Stunden danach empfand ich so etwas wie Stolz. Dem Feind drei Bomben zu verraten brachte unsere Zukunft nicht in Gefahr. Damit bekämpfte ich den Tod und besänftigte diejenigen, die sich für die Herren hielten.
    An diesem Abend vergaß ich im Pub den Verräter.
    »Schön, dass es dir wieder so gut geht, Tyrone«, sagte ein alter Kamerad zu mir.
    Zu Hause haben Sheila und ich uns geliebt und gelacht.
    Am nächsten Morgen, dem 6. November, kaufte ich Blumen und eine Rosenkerze, die ein fliegender Händler in der Castle Street anbot. Auf dem Rückweg sah ich Jim mit Manus und Brenda, zwei der Neuen, die während des Hungerstreiks zu uns gestoßen waren. Jim blinzelte mir zu. Manus hatte gerade den Führerschein gemacht. Der Sprengmeister wollte ihn für den Transport testen. Brenda lächelte mich an. Nach dem Tod von Bobby Sands hatte sie mich gefragt, wie sie sich nützlich machen könnte. Die drei gingen zu dem Versteck. Wenn die Briten in der Nacht wie geplant gehandelt hatten, würde die IRA nur noch die Spuren ihrer Stiefel im Staub sehen.
    Ich nahm ein Gemeinschaftstaxi. Ich fühlte mich leicht. Eine Schülerin fragte mich nach Feuer. Dann nach einerZigarette. Ich lachte. Ein Mädchen von uns, frech, das Kinn hochgereckt und die Fäuste in den
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