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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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nahm meinen Mantel, wickelte mir einen Schal um den Hals und zog meine Mütze tief ins Gesicht. Es regnete. Ein Dezemberregen mit eisigen Böen vom Hafen her. Hinter mir kratzten die Rosshaarborsten auf dem Zement. Wenn das Unglück umging, betäubte Sheila sich mit Haushaltsarbeiten. Wischte Staub, putzte, wienerte unsere kleine Welt und segnete jeden kleinen Gegenstand dafür, dass er da war.
    Ich ging durch die Falls Road, an den feindseligen Backsteinen entlang, und hielt mit einem Nicken ein Gemeinschaftstaxi an, das nach Andytown hochfuhr. Ich kannte den Chauffeur, Brendan, ein ehemaliger Häftling wie die meisten Taxifahrer im republikanischen Viertel. Der Pfarrer von St. Joseph saß vorn neben ihm. Auf dem Rücksitz eine junge Frau mit einem Kind auf dem Schoß zwischen einer Schülerin in Uniform und einem alten Mann. Ein Junge belegte den Notsitz gegenüber. Der andere war leer. Die Schülerin klappte ihn herunter und überließ mir ihren Platz. Niemand sagte ein Wort. Durch das offene Trennfenster hörte man das Radio. In Belfast regnet es, meldete der Sprecher, von sanfter Musik umspült.
    »Das wussten wir schon«, lächelte der Pfarrer.
    Der Chauffeur schaltete das Radio aus. Schweigen senkte sich herab. Ich bekam immer weniger Luft. Ich beobachtete das Mädchen, den Jungen, stahl ein Leuchten aus den Augen der Frau. Fragte mich, ob sie Bescheid wüssten. Ob alle es wüssten. Ob sich die Neuigkeit von Straße zu Straße biszum Hafen ausgebreitet hätte. Ob das Bärchen und O’Doyle nachts, nachdem sie mein Haus verlassen hatten, die Stadt aufgewiegelt hätten. Ich lächelte dem Baby zu. Die junge Mutter erwiderte meine freundliche Geste. Diese Grabesstille galt mir. Als ich in den Wagen gestiegen war, hatten alle geplaudert, da war ich mir sicher. Ich meinte sogar gesehen zu haben, wie sich Pater Adam nach hinten umwandte und mit den anderen lachte. Jetzt saßen alle steif da. Ein Leichenwagen.
    Wir fuhren an der Parteizentrale der Sinn Féin vorbei, an Falls Park, dem Royal-Victoria-Krankenhaus. Die Schülerin drehte sich um und klopfte mit einem Zwanzig-Pence-Stück an das Trennfenster. Das Taxi hielt an. Ich begegnete Brendans Blick im Rückspiegel. Ich kannte diesen Blick. Diese Verachtung, die immer dem Feind gegolten hatte. Ich lächelte ihn an. Nur so, blinzelte und hob leicht den Kopf. Er reagierte nicht. Verkuppelte sich. Der Motor protestierte heftig.
    »Ach, Scheiße!«
    Der Pfarrer gab ihm einen leichten Schlag auf die Schulter.
    »Brendan!«
    »Verzeihung, Pater, ist mir so rausgerutscht.«
    Er streifte mich kurz mit den Augen. Verschloss sich gleich wieder und heftete den erloschenen Blick auf den Regen.
    Ich stieg beim Milltown-Friedhof aus. Als ich an dem Blumenladen vorbeikam, kaufte ich einen Strauß Trockenblumen. Ich ging zwischen den Gräbern, den Freunden im republikanischen Teil hindurch. Schenkte den Hungerstreiktoten zwei gelbe Margeriten. Und eine Jim O’Leary, dem großen »Mallory«, unserem Sprengmeister, meinem Freund, der am 6. November 1981 für Irland gestorben ist.
    Anschließend verteilte ich die Blumen zufällig, wie ein Kind, das aus Angst, sich zu verirren, Steinchen fallen lässt. Aufrecht, wie ein alter Soldat in Habtachtstellung, murmelte ich jedes Mal einen Gruß. Bye bye, Bobby. Bye bye, Jim. Dann setzte ich mich auf das Grab von Tom Williams, eine tragische Stele.
    Die Wolken bedrängten die Hügel. Der Regen zog schwarze Kratzer in den Sandstein der Statuen. Drei Strahlen Sonne. Dann wieder das Dunkel. Der Himmel schloss sich wie ein Trauervorhang.
    Ich ging zum Tor. Drehte mich um. Und sagte Milltown Lebewohl.
    Auf der anderen Seite der Falls Road liegt der städtische Friedhof. Ein Ort der Ruhe, ohne diese gemeinsame Geschichte. Dort stirbt man am Grau, nicht an der Trikolore. Die Köpfe hängen, die Herzen erheben sich nicht. Dort werden die begraben, die nicht wir sind. Und dort gehe ich hin, weil ich ein anderer bin.
    *
    Nach Einbruch der Nacht beschloss ich, mich der IRA zu stellen.
    Als ich nach Hause kam, erwartete Sheila mich in meinem Sessel. Der Fernseher war aus, sein Schweigen verblüffte mich. Ich blieb stehen, eine letzte Margerite in der Hand. Die war wie ich, ihr Kopf hing. Sheila stand auf. Ich gab ihr die Blume. Ich wollte reden, aber sie legte mir die Fingerspitzen auf die Lippen. Keine Lüge. Wahrheit oder Schweigen,hatten wir gesagt. Also war Schweigen ihr lieber. Ich wollte hinauf ins Zimmer, um ein paar Sachen zu packen. Aber meine
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