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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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seine eigene Jugend und sein in Stücke gerissenes Leben.Neben ihm im Wagen hockte Eugen Finnegan, das Bärchen. Er öffnete die Tür und stieg aus, damit ich zwischen ihnen auf der Rückbank sitzen konnte. Die Hitze im Wagen war erstickend, aber mich begrüßte der Duft von Cormac Malone. Ein Eau de Toilette, das ich ihm aus Paris mitgebracht hatte. An solchen Kleinigkeiten, winzigen Hoffnungen, hielt ich mich fest. Warum parfümierte er sich damit, wenn er mich begleiten sollte? Was wollte er mir damit sagen? Dass ich nichts zu befürchten hätte? Dass er mein Freund sei? Ich suchte im Spiegel der Frontscheibe seine Augen. Er hatte den unbeteiligten Blick der Fußgänger auf dem Bürgersteig.
    Ein zweiter Wagen hielt gegenüber. Ein kurzes Aufblinken der Scheinwerfer. Mike lief hin und nahm vorne Platz. Das Bärchen stieg ein und setzte sich neben mich. Er rempelte mich und drückte mich gegen Pete. »Der Killer« legte mir seine Hand aufs Knie. Wie eine Pranke. Ich war sein Gefangener, und das sagte er mir mit seinem Klammergriff.
    Wir fuhren mitten durch unsere Viertel, die vertrauten Straßen entlang. Ich kannte sie, wie man Menschen kennt. Jedes Haus mit seiner Geschichte, jede Tür mit ihrem Geheimnis. Sie schienen mir Zeichen zu geben, sich zu verneigen. Und ich verabschiedete mich von ihnen.
    An dieser Straßenkreuzung hatte es 1972 Cormac Malone eines Abends fast erwischt. Seither machte er immer die Augen zu, wenn er vorbeikam. Auch in dieser Nacht sah er weg. Die Loyalisten waren mit Autos aus Shankill gekommen. In voller Fahrt eröffneten sie das Feuer aus einem Fenster, ohne sich um den alten Mann zu kümmern, der mit Cormac sprach. Cormac sah sie. Warf sich auf den Alten, riss ihn mitsamtseinem Stock und seinem Gemüse zu Boden, deckte ihn mit seinem Körper, aber es war zu spät. Drei Kugeln im Rücken, zweitausend Menschen auf der Beerdigung. Cormac hasste den Überlebenden, zu dem er geworden war.
    Unter dieser Laterne in der Springfield Road wurde im Oktober 1974 Denis O’Leary, der dreizehnjährige Sohn von Cathy und Jim, von einer Plastikkugel getroffen, die aus einem Panzer abgefeuert worden war. Er wollte gerade Milch aus dem Laden holen. Und starb auf der Straße, einen Fünf-Pfund-Schein fest in der Hand.
    In diesem kleinen Garten, an dieser rot gestrichenen Tür in der Beechmount Street, hatte mir Ende Februar 1942 ein IRA-Mann meine erste Pistole anvertraut.
    Wir überquerten die Grenze am Samstag, den 16. Dezember 2006, um sechs Uhr morgens. Petes Hand im Klammergriff um mein Knie. Cormac hatte geschlafen, das Bärchen auch, laut schnarchend, die Stirn an die Scheibe gelehnt. Wir waren in der Republik Irland. Ich kehrte heim.
    Die Partei hatte einen Raum in einem Dubliner Hotel reserviert und eine Pressekonferenz einberufen. Sinn Féin wollte zeigen, dass die Briten ihren schmutzigen Krieg weiterführten. Dass sie nach dem Versuch, unseren Widerstand zu zerschlagen, ihn nun unterwanderten und einige seiner Mitglieder bestachen.
    Alle hatten sich beim Aussteigen aus dem Auto eine Krawatte umgebunden. Ich war der Einzige mit offenem Hemd, wie ein Untersuchungshäftling am frühen Morgen. Der Saal war voll. Ich ging hinein, frei, aber umringt von den Männern.Mir schwindelte. Die Kameras, die Mikrofone, all diese Journalisten, die gleichzeitig redeten. Was wussten sie von mir? Von unserem Kampf ? Was machten sie hier? Was wollten sie hören? Erfahren? Berichten? Für sie war der Krieg ganz einfach zu erzählen: die guten Briten, die bösen Terroristen. Alles war gesagt. Sie glaubten nicht an den Waffenstillstand. Sie holten ihre Schlagzeilen aus dem großen Sack der Zweifel: »Manöver« hieß es dann oder »Taktik«. Als sie das Offensichtliche anerkennen mussten, verwechselten sie politischen Willen mit militärischer Kapitulation und wandten sich von uns ab. Frieden? Uninteressant. Hoffnung lässt sich schwerer verkaufen als Angst. Und jetzt bekamen sie plötzlich, ohne Vorwarnung, neues Futter, einen Verräter, einen Spion, ein Schaudern. Ein bisschen alten Kriegsmief.
    Cormac ging hinter mir, begleitet von einem anderen Leiter des Zentralkomitees. Sie blickten ernst und düster. Als mir die Mikrofone entgegengestreckt wurden, legte ich ein Geständnis ab. Nicht mehr. So würden die Briten erfahren, dass ich mich ergeben hatte.
    »Ich heiße Tyrone Meehan. Ich bin ein britischer Agent. Ich wurde vor zwanzig Jahren angeworben, in einem heiklen Moment meines Lebens. Ich wurde für meine
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