Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
Vom Netzwerk:
nicht »Viel Glück«. Ich gab keine Antwort. Er nickte und schloss die Tür hinter mir.
    Ich ging durch das Dorf. Zum Haus meines Vaters. Gebeugt, mit schmerzenden Beinen, von allem müde. Es war noch nicht dunkel, als ich den Lehmweg erreichte. Die große Tanne, das alte Schieferdach. In den Brombeeren lag ein Eimer Teer und ein breiter Pinsel.
    »Verräter!«
    Die Schrift zog sich über die gesamte Fassade.
    Aufgebrochen war nichts. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Ich ließ die Fensterläden zu, legte Riegel und Kette vor die Tür. Im Regal waren noch etwa zehn Kerzen und eine Flasche Spiritus für die Lampe. Ich zündete einen Kerzenstummel an. Man sollte das Licht nicht von der Straße aus sehen. Ich zog mich nicht aus. Ließ Schal, Mütze und Handschuhe an. Der Kamin müsste bis morgen warten. So, wie ich war, ging ich mit Schuhen ins Bett und legte noch Jacks Decke auf unsere drauf. Schraubte meinen Flachmann auf. Halb leer. Den Rest Wodka trank ich in einem Zug. Um mein Feuer zu entfachen. Ich lauschte der Stille. Dem Winter meiner Kindheit, als Weihnachten noch weit weg war. Brachte einen Trinkspruch auf meine Rückkehr aus. Auf das Unglück meiner Mutter. Und die Fäuste meines Vaters. Sah meine Geschwister zusammengedrängt in dem großen Bett, auf dem Strohsack am Boden. Zählte ihre Schatten in der Dunkelheit. Seid alle gegrüßt, meine Lieben. Die Nacht wird lang. Die längste Nacht, die ein Mann je erlebt hat. Auch wenn er aufsteht, wird es nicht wieder Morgen. Nicht Frühling noch Sommer, nur noch Nacht.

23
    Killybegs, Mittwoch, 4. April 2007
    Die Explosion hat mich heute Nacht um drei aus dem Schlaf gerissen. Grell, mit dröhnenden Echos. Ein Blitz. Ein zerborstener Baum im Wald. Ich schwitzte. Machte das Feuer wieder an, zog eine Jacke über den Schlafanzug. Trank ein Bier und schaute in die Flammen.
    Gestern Abend habe ich beim Schlafengehen gesungen. Und über meine Stimme gestaunt. Ich saß im Bett, eine Biografie von James Connolly vor mir auf der Decke. Und spitzte die Ohren, als wäre jemand anders hereingekommen. Das kam von dem Bier, dem Wodka, der Anspannung und dem Rausch. Ich sang leise vor mich hin, wie man sich vergisst. Legte mich hin und las. Eine Seite zum Einschlafen. Connolly, vom Feind verwundet und vom Feind verarztet, konnte sich am Tag seiner Hinrichtung, dem 12. Mai 1916, nicht auf den Beinen halten. Also wurde er auf einem Stuhl erschossen. Der Chirurg, der sein Bein gerettet hatte, fragte ihn an diesem Tag, ob er, Connolly, nicht für ihn beten könne. Und für die anderen, die ihn hinrichten würden.
    »Ja, mein Herr«, hatte Connolly geantwortet, »ich werde für alle Anständigen beten, die ihre Pflicht tun, gemäß dem, was sie vom Leben verstanden haben.«
    Das habe ich mir gleich noch einmal laut vorgelesen.
    »Gemäß dem, was sie vom Leben verstanden haben.«
    Connolly hat für seine Henker gebetet, weil sie meinten, nur ihre Pflicht zu tun. Ich stand auf, riss die Seite heraus und klebte sie in mein Heft. Dann trank ich noch ein Bier. Das letzte, das immer vor dem nächsten kommt. Ein Helles, leicht wie Wasser. Verstärkte es mit Wodka. Und trank noch ein paar Halbe aus Schnaps und Bier zu gleichen Teilen.
    Dann war ich betrunken eingeschlafen und panisch hochgeschreckt. Das war kein Blitz. Ein von Stahl und Eisen zerfetzter Schrei. Nicht weit vom Haus, vielleicht auf dem Weg. Ich nahm eine Taschenlampe und Séannas Schläger, umkrampfte die Schlaufe. Draußen war es finster. Nichts, nur ich allein. Ich ging ums Haus. Hinter mir ein Geräusch. Das Rauschen des Waldes. Ein Fuchs auf der Jagd, eine Maus.
    »Hier bin ich!«
    Ich brüllte.
    »Tyrone Meehan ist hier!«
    Der Meerwind spielte mit meinen Haaren.
    »Ich erwarte euch, ihr Schweine.«
    Ich befragte den Himmel. Er sagte nichts von Gewitter. Der Mond streichelte die Steinmauern und die Gipfel der Hügel. Eine nächtliche Explosion hatte mich geweckt, das Getöse der Erinnerung. Das Schnappen der Gewissensbisse, das die Träume zerreißt.
    Ich ging ins Haus zurück und öffnete die Wodkaflasche. Gluck, gluck, gluck. Ja, genau so. Das Zischen der Bierdosenlasche. Ich mischte bis zum Rand. Noch betrunken von gestern, schon betrunken von heute. Wer sollte was dagegen haben? Ich spreche hier mit Ratten. Asseln sind meine Freunde. Mein Brot teile ich mit Ameisensoldaten. Ganze Einheitensetzen sich auf meinen Befehl in Marsch. Im Haus meines Vaters bin ich der Oberbefehlshaber. Ich reiße den Vorhang und das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher