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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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allem Schluss. Ich bleibe. Ich bin hier zu Hause. Ich habe dasselbe Recht auf dieses Land wie alle Iren zusammen.
    Ich hoffte, er würde mir hinterherlaufen. Mich anschnallen, mich gewaltsam fortbringen, mich beruhigen, verstecken, beschützen. Aber er rührte sich nicht. Als ich in die Straße einbog, war er bereits in den Wagen gestiegen. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Er hat behauptet, Frank Congreve zu heißen. Ich habe nie erfahren, ob das sein richtiger Name war. Und auch nicht, wie er sein linkes Auge verloren hat.
    *
    »Tyrone?«
    Aus dem Schlaf gerissen, setzte ich mich auf und versuchte keuchend, mit offenem Mund, Luft zu bekommen. Wie ein Taucher, der an die Wasseroberfläche zurückkehrt.
    »Mike O’Doyle und Eugene Murray sind da. Das Bärchen, du weißt schon …«
    Sheila stand an meinem Bett, den Morgenrock mit beiden Händen an die Brust gedrückt. Ich bekam keine Luft, meine Schläfen pochten, meine Stirn war eisig.
    »Du solltest mal zum Arzt gehen mit deiner Atemnot«, hatte sie oft gesagt.
    Mein Nachtblick. Ich kam von sehr, sehr weit her. Ein schweißtreibender Traum mit Schreien. Ich stand auf. Zitternd.
    »Geht’s, Tyrone?«
    Ich schlüpfte mit nackten Füßen in meine Straßenschuhe.
    »Soll ich ihnen sagen, dass du krank bist? Dass sie morgen wiederkommen sollen?«
    »Wo sind sie?«
    »Im Wohnzimmer.«
    »Ich komm runter.«
    »Es ist ihnen anscheinend unangenehm, weißt du«, murmelte Sheila.
    Noch bevor sie es wusste, hatte sie verstanden. Wie Tiere mit ihrem Instinkt für Feuer. Ihrem Mann würde etwas zustoßen. Jemand würde ihm etwas antun. Ihr Herz ahnte es. Sie kannte den Krieg zu gut, um an diesen Frieden zu glauben.
    Es war der 14. Dezember 2006. Zwei IRA-Jungs hatten um dreiundzwanzig Uhr angeklingelt. Das war nicht normal. Sie hatten verschlossene Gesichter, im Blick schlechte Nachrichten.Sie verweigerten Sheila ein Lächeln und lehnten ihren Tee ab. Sie bekam vor Angst Magengrummeln. Ich bat sie, oben zu bleiben.
    »Bitte, meine Frau.«
    Sie nickte. Wie oft hatte sie mein Bett für meine Rückkehr gerichtet und die Nacht angefleht, dass der Tod mich übersehen möge! Sie kannte mich zu gut. Sie sah an meinen Bewegungen, wenn Gefahr drohte.
    »Was hast du getan, Tyrone?«
    Ich legte ihr einen Finger auf die Lippen, ließ ihn einen Moment lang in ihrem Mundwinkel ruhen. Dann schloss ich die Tür hinter mir und ging langsam die Treppe hinunter.
    Das Bärchen betrachtete die Fotos auf dem Kaminsims, Mike beobachtete die Treppe. Bei meinem Kommen nahm der eine seine Wollmütze ab. Der zweite behielt seine auf. Ich lächelte schief, ein erzwungener Krampf zwischen Trauer und Trotz. Ich streckte die Hand aus, aber keiner von beiden nahm sie.
    »Mike, Eugene …«
    Kurzes Begrüßungsnicken.
    Das Bärchen sah O’Doyle an. Betretenes Schweigen.
    »Wir haben ein Problem, Tyrone.«
    Ich lächelte noch einmal.
    »Ihr habt ein Problem?«
    »Du hast ein Problem«, antwortete das Bärchen.
    Ich zeigte auf den Sessel, auf das Sofa. Sie blieben stehen.
    »Es gibt Gerüchte über dich, Tyrone. Schlimme Gerüchte.«
    Mike O’Doyle nahm die Hände aus den Taschen. Eine respektvolle Geste. Ein Punkt für mich.
    »Was für Gerüchte, Mike?«
    »Würdest du bitte mitkommen?«
    Ich sah aus dem Fenster. Vom Spitzenvorhang kaum verdeckt, wartete auf der Straße ein Wagen mit zwei Männern.
    »Nein, so nicht. Nicht nachts. Wenn ihr etwas zu sagen habt, schickt mir jemanden vom Armeerat.«
    »Du weißt genau, dass der uns schickt, Tyrone.«
    »Du vergeudest deine Zeit, Mike, ich kenne das Verfahren.«
    »Nimm deinen Mantel.«
    Es ging um mein Leben. Dessen war ich mir sicher. Waffenstillstand oder nicht, wenn ich jetzt das Haus verließe, würde ich demnächst auf einer grenznahen Mülldeponie verrotten. Sie müssten jetzt gehen. Sie könnten ja später wiederkommen, bei Tageslicht und ohne diese Blicke.
    »Beeil dich, Tyrone«, sagte das Bärchen.
    »Verdammt, habt ihr euch denn noch nie volllaufen lassen?«
    Der Satz kam so aus mir heraus, Wort für Wort zusammengetragen wie ein schlechter Scherz und ordentlich laut. Mike machte große Augen. Eugene runzelte die Stirn. Jetzt hatte ich sie. Die Überraschung war nun auf ihrer Seite. Ich durfte ihnen keine Sekunde Zeit geben. Musste sie am Kragen packen wie ein Kaninchen bei uns auf dem Land.
    »Es soll mir leidtun? Ist es das? Okay, es tut mir leid! Aber dafür klingelt man doch keinen mitten in der Nacht aus dem Bett!«
    Gegenüber: nichts.
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