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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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brauchen konnte. Sogar eine Flasche Bordeaux und unseren einzigen Korkenzieher hatte ich hinter Walters Rücken noch rasch dazugeschmuggelt.
    Der Zug war pünktlich. Frierend sahen wir ihn einfahren, zitternd vor Kälte und vor Spannung. Ich stand da mit der Tasche, Walter hielt den Hund, befahl: »Sitz!« und knurrte: »Wenigstens ist er pünktlich, mal was Neues!«, so als würde Albert den Zug persönlich fahren und selbst für den Fahrplan verantwortlich sein.
    Der Orientexpreß kam mit kreischenden Bremsen um zwei Uhr drei zum Stehen. Außer uns war niemand zu dieser Stunde auf dem Bahnsteig. Ein Mann stieg aus. Die meisten Fenster waren dunkel. Walter überblickte die rechte, ich die linke Seite.
    »Da«, sagte er und deutete mit dem Kinn zu einer offenen Tür, und ich rannte los.
    Albert stand in einem nachtblauen Morgenrock mit Sternenmuster in der Tür seines Schlafwagens und winkte. Ich lief auf ihn zu, umarmte ihn, er war warm, roch verschlafen und so gut wie damals, und er lachte. Er sah nicht aus wie jemand, der in einem eiskalten Zug mit zerquetschten Fingern zahnschmerzkrank verhungert, verdurstet und erfriert.
    Der Hund sprang an ihm hoch und leckte ihm die Hände ab, und Albert sah uns entgeistert an und zeigte auf Walters Bärenkostüm.
    »Wie seht ihr denn aus?« fragte er, und Walter sagte: »Es ist Karneval, wie du vielleicht gehört hast.«
    »Aber soviel Verkleidung nur meinetwegen, das war doch gar nicht nötig«, sagte Albert, und ich drängte ihm die Tasche auf.
    »Nimm! Es ist alles drin, Tee, Tabletten, Geld, Wärmflasche«, und Walter sagte kurz und scharf: »Ach, Geld auch?«
    Ich überging das und ärgerte mich, daß ich mich verplappert hatte, denn natürlich hatte ich noch schnell hundert Mark zwischen die Butterbrote geschoben, als Walter nicht aufgepaßt hatte. »Was ist los, Albert«, fragte ich, »warum hast du angerufen?«
    »Nichts ist los«, sagte Albert, »ich hab dem Schlafwagenschaffner zwanzig Mark gegeben, damit er mich weckt. Ich hab dir aus Paris etwas mitgebracht, das wollte ich dir persönlich geben. Man kann so was nicht schicken, ich muß unbedingt sehen, wie du guckst.«
    Und aus seiner Morgenrocktasche zog er einen winzigen Gegenstand. Es war eine kleine Skulptur aus bemalter Bronze, zwölf Zentimeter lang und drei Zentimeter hoch, wie ich heute weiß, denn ich habe nachgemessen. Sie stellte zwei Hunde dar, die in einem Boot saßen und ruderten. Die Hunde hatten kleine eckige Köpfe mit etwas abstehenden Schlappohren. Sie waren gleich groß, beide weißbraun gefleckt, und sie saßen, die Ruder in den Pfoten, hintereinander auf den kleinen Ruderbänken, von denen ihre Stummelschwänzchen abstanden. Der vordere Hund sah arglos aus, aber der hintere schaute dem vorderen starr und eindeutig böse in den Nacken.
    »Das«, sagte Albert, »habe ich in Paris gefunden. Ist das nicht unglaublich? Der vorne heißt Fritz, der hinten Heinz. Wenn ihr genau hinguckt, seht ihr, daß Fritz mit der Frau von Heinz was hat, aber er denkt, Heinz wüßte es nicht. Heinz weiß es aber doch, und irgendwie passiert da bald was.«
    Der Stationsvorsteher pfiff. Albert zog fröstelnd den Morgenrock zusammen, ich hielt die Tasche hoch und fragte: »Brauchst du denn gar nichts? Butterbrote? Musik? Wein?« Albert winkte ab, lachte, sah mich an. Ich stand da mit den rudernden Hunden in meiner Hand und konnte mich nicht satt sehen.
    »Ich wußte es«, sagte Albert zufrieden, tätschelte noch einmal Kunos Kopf, sagte: »Adieu, Purzelchen!« und schlug dann die Tür zu. Er grinste hinter der Scheibe. Walter rief: »Er heißt Kuno!«, und Albert winkte ab und nickte, jaja, Kuno.
    Der Orientexpreß fuhr ab. Ich sah auf Heinz und Fritz und sagte:
    »Gleich brennt er ihm allein mit Blicken ein Loch in den Hals.«
    »Albern«, sagte Walter. »Dafür läßt er uns antanzen, mitten in der Nacht.«
    Wir fuhren nach Hause, tranken noch ein Glas Bordeaux, und Heinz und Fritz standen vor uns auf dem Tisch. Sie ruderten.
    Noch. Aber ich wußte, daß der Tag kommen würde, an dem Heinz dem vorn sitzenden Fritz mit dem Ruder eins drüberziehen würde.
    Den Tag wollte ich nicht verpassen. Bronze, wir wissen es, kann schmelzen. Man muß nur Geduld haben.
    Walter hat inzwischen geheiratet und bringt seinem Sohn vielleicht »Sitz! Platz! Fuß!« bei, wer weiß. Purzelchen ist bei mir geblieben und schläft in meinem Bett, am Fußende. Auf dem Nachttisch stehen Heinz und Fritz, und manchmal ruft Albert an und fragt:
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