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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde
Autoren: Elke Heidenreich
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wohnte in der Löhleinstraße und ich gleich um die Ecke in der Brümmerstraße.
    Und mit Löhlein und Brummer trieben wir unseren Unfug, der nicht selten schlüpfrig war, uns aber jedenfalls prächtig bei Laune hielt und zu unserem Alltag gehörte. Wochenlang sagten wir Sprichwörter vor uns hin, die anderen Rätsel waren. Der Brummer geht so lange zum Löhlein, bis er bricht. Ein Löhlein und ein Brummer, die waren beide mein. Wer den Brummer nicht ehrt, ist das Löhlein nicht wert. Lieber den Brummer in der Hand als das Löhlein auf dem Dach. Was Löhlein nicht lernt, lernt Brummer nimmermehr. Und so fort.
    »Wer ist Herr Löhlein?« fragte ich mit der leichten Strenge, die ich mir angewöhnt hatte, seit meine Mutter versuchte, bei jeder Gelegenheit meinen Vater posthum in einem Maße zu kritisieren, daß man annehmen mußte, er sei der größte Irrtum ihres Lebens gewesen.
    Sie setzte das Tablett ab, verteilte zusammen mit Luisa Teller, Tassen und Besteck, zündete ein Teelicht an und antwortete erst, als auch sie saß und wir alle Tee in den Tassen hatten.
    »Ein feiner Mann.«
    Dann schwieg sie, als wollte sie das Thema damit erledigt wissen. Luisa, in solchen Dingen liebevoller - nun, es war auch nicht ihre Mutter - oder auch listiger als ich, spann den Faden geschickt weiter.
    »Das sieht man«, sagte sie und machte so der Mutter Mut.
    Sie hatte ihn im Club der Berliner kennengelernt. Er war Hamburger, war nach seiner Pensionierung mit seiner Frau, einer Berlinerin, ins Kurbad gezogen, wie meine Mutter nach dem Tode meines Vaters auch, um dort den sogenannten Lebensabend zu verbringen. Seine Frau war ziemlich bald gestorben, und er lebte allein in der kleinen Wohnung. Im Gegensatz zu anderen Männern, so stellte mein Mutter fest, verwahrloste er nach dem Tod seiner Frau nicht, im Gegenteil, er war immer gepflegt und angenehm, ein Lichtblick aller Veranstaltungen des Vereins, ein charmanter Unterhalter, ein guter und fleißiger Tänzer, ein Mann, um dessen Gesellschaft oder gar Freundschaft sich, wie meine Mutter mit gewissem Erobererstolz erzählte, die vielen alleinstehenden Damen durchaus rissen.
    Luisa verstand es immer wieder, durch geschickte Fragen den Redefluß meiner Mutter weitersprudeln zu lassen. So entstand das Bild eines Mannes, der jetzt im hohen Alter die Früchte eines von Fleiß und Vernunft bestimmten Lebens ernten durfte. Er stammte aus gutem Hause, die Eltern waren Kaufleute, und auch er, der einzige Sohn übrigens, war in die Fußstapfen seiner Vorfahren getreten und hatte die väterliche Firma - im Kolonialwarensektor, wie er sich wohl ausgedrückt hat - zu einer Blüte gebracht, in der sie auch jetzt noch, da ein Neffe die Geschäfte führe, erstrahle.
    Selbstverständlich, so betonte meine Mutter voller Bewunderung, verfüge Herr Löhlein heute über eine stattliche Rente, die es ihm erlaube, größere Sprünge als andere zu tun. So sei er auch bei gemeinsamen Unternehmungen, ob es nun um Essens-einladungen gehe oder um Theater- oder Konzertkarten, von einer edlen Großzügigkeit, worunter man sich aber um Gottes willen nichts Falsches vorstellen dürfe, was ihre Person betreffe. Da kenne sie durchaus die Grenzen des Anstands.
    Überflüssig zu erwähnen, daß Herr Löhlein natürlich sein Leben lang nicht geraucht hat, dem Alkohol sparsam zugetan war und auch noch in seinem hohen Alter auf einen gesunden Lebenswandel achtete. Zu betonen, daß er ein Mann von feinsten Manieren war und stets wußte, was sich gehörte, war meiner Mutter mehrfach wichtig.
    Luisa schaute mich immer besorgter an, denn sie ahnte, was in mir vorging: Ich spürte, daß wieder einmal, diesmal auf ganz subtile Weise, mit meinem Vater abgerechnet wurde, denn er war das Gegenteil von allem gewesen, was über diese neue Eroberung zu erzählen und an ihr zu loben war. Er kam aus einfachen Verhältnissen, war uncharmant und eckig, trank und rauchte sich seine Gesundheit zunichte, hatte nichts Vernünftiges gelernt, war ein lausiger Geschäftsmann und hatte meiner Mutter nur Schulden und eine so kleine Rente hinterlassen, daß sie auf Zuwendungen von uns angewiesen war. Daß ich meinen Vater mehr geliebt habe als meine Mutter, das stand immer zwischen ihr und mir. Und sie ließ auch keine Gelegenheit aus, zu betonen, daß ich meinem Vater doch in allem ähnlich sei.
    Mir wurde es unbehaglich. Ich wollte plötzlich nichts mehr von diesem Hans-Albers-Verschnitt hören. Ich begann ihn schon dafür zu hassen, daß er
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