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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung
Autoren: Rafael Seligmann
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stürze ins dunkle Treppenhaus. Während ich die Stufen hinunterrase, wird die Beleuchtung angeschaltet. »Was ist denn hier passiert?«, ruft ein Nachbar. Bloß raus hier! Ich stoße die Haustür auf, stehe auf der Straße. Meine Beine sind weich, die Hände zittern. Ich verfluchter Idiot. Ich Lump. Ja, ich bin wirklich ein Lump. Fred hat recht. Wegen dieses verdammten Autos schlage ich den eigenen Vater. Wie ein Nazi habe ich den Schwächeren fertiggemacht.
    Objektiv sind meine Alten wirklich Ärsche. Fred ein Schlappschwanz, Esel eine Intrigantin. Aber sie haben in den »Tausend Jahren« zu viel mitgemacht – sie werden sich nie mehr ändern. Sie können es nicht, selbst wenn sie wollten.Durch die Schlägerei hast du alles nur noch schlimmer gemacht.
    Das wird Esel noch monatelang auskosten. Zuerst hat sie den Krach eingefädelt. Jetzt wird sie auf meinen Schuldgefühlen herumreiten.
    Warum ist er bloß auf mich losgegangen? Ich wollte ihm doch nichts tun. Hatte einfach Angst. Du bist ein verdammter Feigling! Was wäre dir schon passiert? Selbst wenn er dir eine gepatzt hätte? Dann wäre er im Unrecht, nicht du. Alles aus verdammter Angst.
    Was tu ich jetzt? Einfach so zur Sinai-Party gehen? Ich bin doch nicht mal angezogen. Nach oben kann ich aber auch nicht. Warum eigentlich nicht? Aus Angst. Du musst die Angst überwinden! Du gehst jetzt rauf und entschuldigst dich. Mein Herz rast, während ich die Stufen emporsteige. Läute.
    Esel öffnet: »Scher dich zum Teufel, du Krimineller. Du Schläger!«
    Ich gehe an ihr vorbei. Das Wohnzimmer wird nur von der schwachen Wandleuchte erhellt. Fred sitzt in seinem schweren Polstersessel, einen feuchten Lappen um den rechten Arm gewickelt. Seine Augen sind gerötet. Er hält den Kopf gesenkt.
    »Ich möchte mich bei dir entschuldigen.«
    »Warum hast du das getan?«, seine Stimme ist heiser.
    »Ich weiß es selbst nicht. Ich wollte es nicht. Bitte entschuldige.«
    »Schon gut. Benimm dich wenigstens in Zukunft wie ein Mensch. Sonst wirst du wenig Glück haben in deinem Leben.«
    Ich lege meinen Arm um seine Schulter. Gebe ihm einen Kuss auf den kahlen Schädel. Ich habe das Bedürfnis zu weinen. Beherrsch dich, Rubinstein! Wegen deiner Feigheit hast du schon deine Stellung in der Klasse verschissen. Wegen deiner Angst hast du heute deinen Vater geschlagen. Schluss mit der Angst!
    »Ich danke dir, Fred – von ganzem Herzen.«
    »Nimm dir die Autoschlüssel aus dem Jackett.«
    »Fred, das ist nicht nötig.«
    »Nimm sie. Aber ohne dass deine Mutter es merkt.«

JÜDISCHE PARTY-LOGIK
    »Die Weinraubs spinnen komplett. Was die Kerle allein für das Fressen ausgeben, ist wirklich sagenhaft. Vom Dreck und dem Lärm ganz zu schweigen.«
    »Tja, Peter, die Unberührtheit einer jüdischen Tochter will teuer erkauft sein – besonders wenn sie so geil ist wie Lilly Weinraub.«
    »Du meinst, ihre Alten wissen genau Bescheid?«
    »Sicher, oder hast du einen jüdischen Sohn oder eine Tochter gesehen, die nicht über kurz oder lang selbst ihre intimsten Geheimnisse – und was für intime Geheimnisse haben die meisten von uns nebbich – ihren Eltern offenbart hätten?«
    »Du meinst, Lilly hat ihren Eltern selbst erzählt, dass sie und Joel allerhand miteinander treiben?«
    »Höchstwahrscheinlich. Und falls sie ihr Maul gehalten haben sollte, woran ich nicht glaube, haben es alle anderenihren Eltern erzählt, und die wiederum hatten bestimmt nichts Eiligeres zu tun, als wiederum die Weinraubs anzurufen und sie zu warnen – aus reinem Verantwortungsgefühl natürlich.«
    »Das gibt’s doch nicht!«
    »Und ob’s das gibt. Hast du etwa deiner Mutter nichts erzählt?«
    »Doch. Ich dachte …«
    »Siehst du, jeder denkt. Aber du musst dir keine Vorwürfe machen. Weshalb hat Joel dir und jedem anderen, der es hören wollte, alles erzählt? Und wie gesagt, ich bin davon überzeugt, dass die Lilly es ihren Alten selber gesagt hat.«
    »Weshalb kann denn keiner von uns etwas für sich behalten?«
    »Weil wir im Ghetto leben. Im Ghetto der Vorurteile unserer Eltern. Und in einem Ghetto guckt jeder dem anderen in den Kochtopf, in die Brieftasche und nicht zuletzt unter die Bettdecke, womit wir beim Thema wären. Unsere Tradition verlangt unerbittlich, dass ein jüdisches Mädchen jungfräulich in die Ehe geht – genau wie in Sizilien.
    Das Entscheidende ist aber die panische Angst unserer Alten vor einer ›Mischehe‹ ihrer Kinder. Stell dir vor, du heiratest eine Elsa, Heike oder
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