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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf
Autoren: Kira Maeda
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Locken hatte sie zu einem lässig aussehenden Pferdeschwanz zusammengebunden und sich selbst in einen Dufflecoat gehüllt. Auf ihrer schmalen Nase prangte eine übergroße Sonnenbrille, die fast ihr gesamtes Gesicht verdeckte. Als sie Aki erspähte, nahm sie sie ab und strahlte. „Aki-chan“, rief sie zufrieden und kam auf die Angesprochene zu, um sie zu umarmen und auf die Wange zu küssen. „Schön, dass du da bist.“
    Aki lächelte – halb aus Verlegenheit, halb aus Freude. Miza war ganz anders als ihre Mutter, und es fühlte sich seltsam, aber sehr gut an, eine andere Seite ihrer japanischen Herkunft kennenzulernen. Anscheinend waren nicht alle Frauen aus ihrem Heimatland so streng und auf ihren Ruf bedacht wie ihre Mutter. Aki war in Deutschland aufgewachsen, und so kam es immer wieder vor, dass sie neue Facetten am Herkunftsland ihrer Mutter entdeckte.
    Sie wollte den Gruß gerade erwidern, als sich auch die Fahrertür des Wagens öffnete, und der Mann mit dem Schaltproblem ausstieg. Er wirkte noch immer wütend auf den Wagen, aber es kleidete ihn. Sein Unmut verlieh seinem kantig geschnittenem Gesicht den Touch eines tragischen Helden, und sein leichter Drei-Tage Bart unterstrich das, als wäre es Absicht gewesen, dass er sich über sein Auto ärgern würde. Ähnlich wie Miza war er ansprechend, aber nicht zu schrill gekleidet. Über der einfachen Hose und dem grauen Pullover trug er einen weinroten Schal und einen schwarzen Mantel. Die steile Zornesfalte zwischen seinen dichten braunen Augenbrauen verschwand, als sein Blick auf Aki fiel. Er kam näher und nickte ihr leicht zu. Sie konnte nicht anders; sie musste das Lächeln einfach erwidern.
    „Lucius, ich will dir meine Nichte vorstellen“, strahlte Miza und deutete auf Aki. „Akai Langfeld. Aki, das ist mein Chef, Lucius Wiesmann.“
    Das Lächeln des Mannes vertiefte sich, er reichte Aki die Hand, die sie ergriff und leicht schüttelte. „Sehr erfreut“, murmelte sie.
    „Ganz mein Vergnügen“, schmunzelte er. „Miza hat bisher niemals eine Nichte erwähnt.“
    „Wir haben uns erst vor Kurzem … kennengelernt“, erwiderte Aki und schlug innerlich die Hand vor die Stirn.
    Wir haben uns vor Kurzem kennengelernt .
    Welche Art von Antwort war das denn?! Lucius schien es ihr aber nicht übelzunehmen, seine Augen funkelten amüsiert. „Interessante Art, Verwandtschaft zu machen“, sagte er, und der tiefe, weiche Klang seiner Stimme jagte einen heißen Schauer über ihren Rücken. Sein Blick lag aufmerksam auf ihr, und für einen kurzen Augenblick meinte sie, etwas Leuchtendes – wie hellen Bernstein – in seinen Augen zu sehen.
    „Die Verwandtschaft würden wir jetzt gerne vertiefen“, fuhr Mizas Stimme dazwischen und zerriss den Bann, in dem Aki sich befand. Sie räusperte sich und senkte den Blick. Lucius wandte sich an Miza. Er sagte leise etwas zu ihr, bevor er sich wieder Aki zuwandte und ihr abermals zunickte. „Auf Wiedersehen … Aki.“
    „Auf … auf Wiedersehen.“ Sie lächelte schwach und sah ihm nach, wie er in den Mercedes stieg und davonfuhr.
    „Er wird es nie lernen“, seufzte Miza, während sie Aki in das Innere des Restaurants führte. Sie hatte bereits im Voraus einen Tisch bestellt. Dort wurden sie direkt hingeführt und sahen durch das Fenster dem Treiben auf der Kö zu.
    „Was meintest du damit, er würde es nie lernen?“, fragte Aki, während Miza sich zurechtrückte.
    „Mhm? Oh, seine Fahrkünste. Lucius hat die letzten Jahre in seiner Heimat Amerika verbracht und hat dabei wohl verlernt, wie man einen Wagen ohne Automatik fährt. Aber als Dickkopf, der er ist, muss er in Deutschland ja unbedingt eine Gangschaltung haben“, schmunzelte sie und nahm die Karte entgegen, die der Kellner ihr reichte. Aki tat es ihr nach und warf einen Blick hinein. Beim Anblick der Preise musste sie schlucken. Trotzdem wagte sie einen neuen Versuch: „Tante Miza, was die Einladung angeht … “
    Die schüttelte den Kopf und sah Aki sehr ernst an. „Man redet nicht über Geld“, sagte sie. „Und wenn du eingeladen wirst, solltest du das annehmen.“ Das klang streng und war ein Ton, der eindeutig bewies, dass Midori und Miza Schwestern waren. Aki seufzte leise und hob die Karte wieder an. Sie bestellte ein leichtes Fischgericht. Miza schwatzte ihr noch eine überteuerte Vorspeise auf und bestellte auch den passenden Wein dazu. Aki fühlte sich dabei unwohl, aber nach der Rüge wagte sie nicht noch einmal, das Thema
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