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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf
Autoren: Kira Maeda
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Noch gerade rechtzeitig konnte sie den Wasserhahn zudrehen. Der Wasserstand war schon gefährlich hoch, deswegen ließ sie etwas Wasser ab. Als sie anschließend in der Wanne lag und sich weiter entspannte, wanderten ihre Gedanken wieder zu ihrer Tante Miza. Die Japanerin hatte eine Souveränität ausgestrahlt, die Aki nicht kannte, und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie diese Frau die Familie entehrt haben sollte. Eine Hure konnte sie unmöglich sein. Oder etwa doch?
     
    Die Großmutter des Mädchens lebte am anderen Ende des Tals, am Rand des dunklen Waldes. „Hüte dich vor dem dunklen Wald“, sagte ihre Mutter immer wieder zu ihr. „Wenn du vom rechten Pfad abkommst, lauern dort finstere Gestalten auf dich, die dir Böses wollen.“
     
    Es dauerte zwei weitere Tage, bis Aki die Zeit und auch den Mut fand, die Nummer auf Mizas Visitenkarte zu wählen. Sie befand sich in ihrer Mittagspause und hatte etwas Zeit zu überbrücken, da ihr nächstes Meeting erst in zwei Stunden stattfand. Aki saß deshalb im Park, hatte das Handy am Ohr und lauschte auf das Tuten. Der Tag war angenehm, und wäre sie nicht so aufgeregt wegen ihres Anrufs gewesen, hätte Aki die letzten Strahlen der Herbstsonne sicherlich genossen. Jetzt aber war sie ganz auf das Telefonat konzentriert. So sehr, dass sie zusammenzuckte, als sich jemand meldete. „Yamashida“, sagte eine dunkle Stimme, und Aki atmete tief ein. „Tante Miza?“
    „Aki-chan, schön, dass du mich doch anrufst.“
    Aki lächelte unwillkürlich. Aki-chan hatte sie außer ihrer Mutter noch nie jemand genannt „Ich wollte es schon früher tun, aber bisher war es zeitlich etwas eng“, begann sie sich zu entschuldigen, auch wenn dafür überhaupt kein Anlass bestand. Sie biss sich schnell auf die Lippe, um nicht weiter in diese devote Haltung zu fallen. „Eigentlich wollte ich dich gerne zum Essen einladen“
    „Was heißt ‚eigentlich’?“, fragte Miza am anderen Ende der Leitung amüsiert.
    Aki fuhr sich über das Gesicht. „Uneigentlich natürlich auch“, sagte sie etwas gequält. „Mir geht es einfach darum, dich besser kennenzulernen, denn Mama hat dich nie erwähnt“, fuhr sie ehrlicher fort.
    „Natürlich“, erwiderte Miza ohne den amüsierten Ton aus ihrer Stimme zu verlieren. „Wie sieht es mit jetzt aus? Hast du Zeit?“
    Das kam unerwartet. „Ja“, erwiderte Aki überrumpelt.
    „Wunderbar! Treffen wir uns doch zu einem verspäteten Mittagessen. Ich lade dich ein. In zwanzig Minuten im ‚Fahrenheit‘?“
    Aki öffnete den Mund. Das ‚Fahrenheit‘ war ein teures Restaurant in der Nähe der Kö, Düsseldorfs Edelmeile. „Ich glaube … “
    „Ich möchte dich gerne einladen“, unterbrach Miza sie, bevor Aki weitersprechen konnte. „Du bist meine einzige Nichte, und ich möchte dich gerne verwöhnen.“
    „Tante Miza“, setzte Aki ein weiteres Mal an – aber anscheinend nicht energisch genug – denn Miza tat, als hätte sie diesen Einwand gar nicht gehört. „Gut, in zwanzig Minuten am ‚Fahrenheit‘“, sagte sie fröhlich und legte auf. Aki starrte das Handy in ihrer Hand an, das nur noch leise tutete. Seufzend drückte sie die rote Hörertaste und steckte es wieder ein. Anscheinend war Tante Miza kein Mensch, mit dem man sich streiten sollte.
    Kurze Zeit später wartete sie vor dem Restaurant. Sie war zu früh dran, wollte aber nicht alleine hineingehen. So lief sie also immer wieder den Bürgersteig entlang und hielt Ausschau nach der schlanken Silhouette ihrer Tante.
    Ein lautes Motorengeräusch ließ sie aufsehen. Das Geräusch stammte von einem schwarzen Mercedes, der gerade in die Straße einbog. Der Fahrer hatte anscheinend Schwierigkeiten mit dem edlen Wagen, denn er ruckte und bewegte sich nur abgehackt. Aus dem Aufheulen wurde ein gequältes Kreischen. Aki verzog das Gesicht. „Sachte mit der Kupplung“, murmelte sie und beobachtete, wie sich das Fahrzeug langsam dem Restaurant näherte. Hinter dem Steuer erkannte sie einen Mann, der immer wieder mit der Kupplung hantierte. Da er sich kaum auf die Straße, sondern mehr auf die Technik des Autos konzentrierte, konnte sie sein Gesicht nur im Profil sehen. Er fluchte lauthals, und seine Beifahrerin lachte herzlich über seinen Ärger. Aki verwunderte es nicht, dass es sich bei der Dame um ihre Tante Miza handelte.
    Der Mercedes glitt schließlich an den Bordstein und blieb stehen. Die Beifahrertür wurde schwungvoll aufgerissen, und Miza stieg aus. Die schwarzen
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