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Roter Herbst - Kriminalroman

Roter Herbst - Kriminalroman

Titel: Roter Herbst - Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nicht. Er war wohl mit den anderen Polizisten in den Wald geschlichen.
    Bichlmaier wartete noch einige Minuten, was ihm wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Dann stand er auf, und aus einem Impuls heraus schlich er in geduckter Haltung in der Richtung weiter, aus der sie gekommen waren. Nach etwa 50 Metern begann er zu laufen. Die Angst zwang ihn, schneller zu laufen, als ihm guttat, und er wusste, dass er das Tempo nicht lange würde durchhalten können. Er sah aber bald, dass das Wäldchen einen leichten Bogen machte und dadurch den Blick auf die weite Ebene des Moores wieder freigab. Nach wenigen Metern war er aus der Puste und blieb, die Hände auf die Knie gestützt, stehen, um zu Atem zu kommen.
    Als er sich aufrichtete, sah er ihn. Es konnte niemand anders sein als Magnus Berger. Er stand da, etwa 300 bis 400 Meter von ihm entfernt, und blickte sich mehrmals um. Einen Moment dachte Bichlmaier, dass Berger direkt zu ihm herüberstarrte. Dann ging er weiter. Bichlmaier wusste nicht, ob ihn der andere wahrgenommen hatte. Es schien aber, als sei er ohne Eile. So sah niemand aus, der auf der Flucht war, dachte er.
    Bichlmaier wandte sich um. Weder der Förster noch irgendeiner der Polizisten waren zu sehen. Er war allein. Dennoch fiel ihm die Entscheidung nicht schwer. Fast gemächlich setzte er sich in Trab, folgte dem alten Mann, der unbeirrt in den völlig unwegsamen Teil des Moores hinausstapfte. Schon nach wenigen hundert Metern spürte er, wie der Untergrund schwankte und sich das Brodeln links und rechts von ihm verstärkte.
    Nach etwa einer Viertelstunde war er Magnus Berger noch nicht wesentlich näher gekommen. Plötzlich blieb der stehen und wandte sich zu seinem Verfolger um. Er wartete. Bichlmaier brauchte eine Weile, um die Distanz zu verkürzen, und befand sich nun in Rufweite. Er schnaufte heftig und als er zu sprechen versuchte, versagte ihm die Stimme. So setzte er einfach weiter Fuß vor Fuß, bis er sich bis auf etwa zehn Meter genähert hatte. Als er Magnus Berger schließlich ins Gesicht blickte, war er zutiefst erschüttert. Er sah, wie sich die Züge des alten Mannes innerhalb der wenigen Tagen seit ihrem letzten Zusammentreffen, verändert hatten. Es war das Gesicht eines Kranken, in dem die Augen unruhig flackerten. Erst auf den zweiten Blick nahm er den großkalibrigen Revolver wahr, den der andere in der Hand hielt. Die Mündung war auf seinen Kopf gerichtet. Erstaunlicherweise verspürte er in diesem Augenblick keinerlei Angst. Er war völlig gelassen und bereit für alles, was nun kommen würde.
    »Bleib stehen, Polizist! Komm mir nicht zu nahe!«, herrschte ihn der Alte an. »Was willst du von mir?«
    »Nicht sehr viel«, keuchte Bichlmaier. »Nur Antworten auf meine Fragen … Wir sind hier doch ganz allein. Niemand, der uns zuhört. Nur du und ich. Kein Gott, kein Teufel, nur wir beide. Niemand, der uns stören könnte …«
    Magnus Berger presste ein Lachen hervor, das über die unendliche Weite kroch und schließlich in den brodelnden Tiefen links und rechts von ihm versank. »Was willst du denn wissen?«
    »Wie alles angefangen hat. Damals, als du deine Tochter verloren hast, als du zum Verbrecher geworden bist.«
    »Du nennst mich einen Verbrecher«, höhnte Magnus Berger. »Hört, hört! Wer bist du denn? Wofür hältst du dich? Niemand nennt mich einen Verbrecher! – Wer darf denn entscheiden, was falsch ist oder richtig? Ein Staatsanwalt? Ein Richter? Oder gar ein Politiker? Ein Priester? Oder du, ein kleiner, unglücklicher Polizist? Wer? Wer darf sagen, du bist ein Verbrecher und du dort bist ein Heiliger?«
    »Es gibt schließlich Regeln …«
    »Ich scheiß auf deine Regeln. Das sind Regeln für die Schwachen, für die Idioten, die an das Gewäsch der Politiker glauben, die zulassen, dass unsere deutsche Kultur kaputtgeht. Die das Gesindel hereinholen, das uns die Heimat wegnimmt und unsere Arbeitsplätze …«
    »Ah, deshalb habt ihr damals wohl die kleine Swetlana ins Moor verbannt? Weil ihr Angst gehabt habt, dass eure großartige Kultur ihretwegen den Bach hinuntergeht? Habt ihr das bisschen Leben genommen, das sie gehabt hat. Wie alt war sie damals? 18? 19? Was habt ihr mit ihr nur gemacht? Du und deine Freunde.«
    Der Mann vor ihm schwieg, starrte vor sich hin. Von seiner anfänglichen Überheblichkeit war mit einem Mal nichts mehr zu sehen. »Das geht dich nichts an. Dafür bin ich bestraft worden, glaube mir.«
    »Deine Tochter …?«
    Berger nickte.
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