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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur
Autoren: Deon Meyer
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schmerzlichen Wahrheiten ins Gesicht sehen. Es war, als sei das Rauchglas, die getönte Scheibe zwischen ihr und der Realität, plötzlich zerbrochen, so dass sie ihr jetziges Dasein im hellen Licht betrachten musste und nicht mehr wegsehen konnte.
    Als sie ihren eigenen Anblick nicht mehr ertrug, begann sie, ihren Zustand zu analysieren. Rückblickend versuchte sie nachzuvollziehen, wie sie an diesen Punkt gekommen war. Wie hatte sie derart abstumpfen und so tief sinken können? Wann? Wie hatte diese Lüge, dieses Phantasiegebilde, sie derart täuschen können? Und jede Antwort brachte größere Angst vor dem Unabwendbaren, der Gewissheit, was sie tun musste. Doch sie besaß weder den Mut noch die Kraft dazu. Ja, nicht einmal die Worte. Sie, die nie um Worte verlegen war, im Kopf, in ihrem Tagebuch, immer und überall.
    So lag sie da, bis Christo hereinkam, mitten in der Nacht.
    Er versuchte gar nicht erst, leise zu sein. Seine unsicheren Schritte wurden vom Teppich gedämpft. Er schaltete das Badezimmerlicht ein, kehrte dann zurück und ließ sich schwer auf der Bettkante nieder.
    Mucksmäuschenstill lag sie da, mit dem Rücken zu ihm, die |15| Augen geschlossen. Sie hörte, wie er die Schuhe auszog, sie beiseite warf, aufstand, ins Bad ging, pinkelte, furzte.
    Bitte geh duschen. Wasch deine Schweinereien ab.
    Der Wasserhahn am Waschbecken lief. Dann ging das Licht aus, und er stieg ins Bett. Knurrte, müde und zufrieden. Kurz bevor er die Decke über sich zog, roch sie ihn. Den Alkohol. Zigarrenrauch, Schweiß. Und den anderen, primitiveren Geruch.
    Und in diesem Moment fand sie den Mut.

2
    (1. August 2009. Samstag.)
    Mitschrift: Vernehmung von Ismail Mohammed, durchgeführt von A.J.M. Williams. Konspirative Wohnung, Tuine, Kapstadt.
    Datum und Uhrzeit: 1. August 2009, 17:52
    M: Ich will in das Schutzprogramm aufgenommen werden, Williams. Und zwar sofort.
    W: Ich verstehe, Ismail, aber …
    M: Kein aber. Diese Scheißkerle wollten mich erschießen. Und sie werden nicht lockerlassen, bis sie mich erwischen.
    W: Keine Angst, Ismail. Sobald wir sämtliche Informationen von Ihnen haben …
    M: Wie lange wird das dauern?
    W: Je eher Sie sich beruhigen und mit mir reden, desto eher kann es losgehen.
    M: Dann komme ich ins Zeugenschutzprogramm?
    W: Sie wissen, dass wir uns um unsere Leute kümmern. Wir sollten jetzt anfangen, Ismail. Wie ist das passiert?
    M: Ich habe sie reden hören …
    W: Nein, wie haben sie herausgefunden, dass Sie für uns arbeiten?
    M: Ich weiß nicht.
    |16| W: Aber Sie müssen doch eine Ahnung haben!
    M: Nein, ich … wissen Sie … Nachdem ich meinen letzten Bericht hinterlassen hatte, dachte ich … Ich weiß nicht … Kann sein, dass mich jemand gesehen hat. Aber dann … W: Einer von ihnen?
    M: Könnte sein. Vielleicht.
    W: Warum haben sie Sie verdächtigt?
    M: Wie meinen Sie das?
    W: Gehen wir mal davon aus, dass sie Sie beschattet haben. Das muss doch einen Grund gehabt haben. Sie müssen irgendetwas getan haben. Vielleicht zu viele Fragen gestellt? Oder Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort?
    M: Das ist Ihre Schuld! Wenn ich über Handy hätte berichten können, wäre ich jetzt noch dort.
    W: Handys sind gefährlich, Ismail, das wissen Sie doch.
    M: Aber die können doch nicht alle verdammten Handys am ganzen Kap abhören!
    W: Nein, Ismail, nur die wichtigen. Aber was hat das Handy damit zu tun?
    M: Weil ich mich jedes Mal wegschleichen musste, wenn ich einen Bericht in dem toten Briefkasten hinterlassen wollte.
    W: Was ist nach diesem letzten Bericht passiert?
    M: Der Bericht war am Montag. Am Dienstag hat dann die Scheiße angefangen, die haben sich immer so komisch angeschaut, aber nichts gesagt. Erst dachte ich, die Spannungen hätten nichts mit mir zu tun, sondern vielleicht mit der Schiffsladung. Aber gestern ist mir aufgefallen, dass sie sich nur so benommen haben, wenn ich in der Nähe war. Sie haben versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich hab’s trotzdem bemerkt. Da habe ich mir allmählich Sorgen gemacht und gedacht: Halt lieber die Ohren offen, da stimmt was nicht. Und dann hat gestern Suleiman am Rat teilgenommen, und ich sollte mit Rayan zusammen in der Küche warten …
    W: Suleiman Dolly. Der Scheich.
    M: Genau.
    |17| W: Und wer ist Rayan?
    M: Baboo Rayan. Ein Handlanger, ein Fahrer. Genau wie ich. Wir haben zusammen gearbeitet. Na, jedenfalls hat Rayan kein Wort mit mir geredet, was sehr merkwürdig war. Und dann haben sie Rayan auch reingerufen, zum
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