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Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild

Titel: Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
Autoren: Jaye Wells
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Rotschopf?«
    Ich lächelte. »Einverstanden.«
    Nachdem wir aufgelegt hatten, schaffte ich es gerade noch, meine Stiefel abzustreifen, ehe ich unter die Decke kroch. Im ganzen Haus war es mucksmäuschenstill, als ich in einen angenehm traumlosen Schlaf sank.
     
    Am nächsten Abend bei Sonnenuntergang folgten Adam und ich einer Prozession vom Haus zu einer kleinen Lichtung, die von gewaltigen Riesenmammutbäumen umgeben war. Vincas sechs Brüder trugen ihren Leichnam auf einer Bahre aus Weidenzweigen, Blumen und Kräuterranken. Man hatte ihr ein fließendes lavendelblaues Gazekleid angelegt und eine Krone aus violettem Heidekraut aufgesetzt.
    Als wir die Stelle erreichten, an der sie begraben werden sollte, stellten wir uns im Kreis auf. Ich war noch nie zuvor auf einer Beerdigung gewesen – von einer Feen-Beerdigung ganz zu schweigen -, weshalb ich mich dezent im Hintergrund hielt. Adam stand neben mir, und ich merkte, wie mich seine Gegenwart beruhigte.
    Wir sahen zu, wie die Brüder ein Loch in den Boden unter dem höchsten Baum gruben. Die Frauen sangen Klagelieder in einer Sprache, die ich nicht verstand. Doch der Klang ihrer hohen, schönen Stimmen ließ mich tief erschaudern.
    Sobald der Körper in der Erde und zugedeckt worden war, traten die Feen zurück, so dass Adam und ich unserer Freundin die letzte Ehre erweisen konnten. Adam trat
als Erster vor und kniete sich neben den kleinen Hügel. Ich sah weg, da ich diesen privaten Moment nicht stören wollte. Als er sich wieder erhob, blickte ich auf und sah, dass auf seinen Wangen Tränen glitzerten. Er ging zur Seite und gab mir ein Zeichen, ebenfalls heranzutreten.
    Das war der Moment, vor dem ich mich seit zwei Tagen gefürchtet hatte. Wie verabschiedet man sich von einem Wesen, das einem etwas bedeutet hat? Bisher hatte ich noch nie jemandem beim Sterben zusehen müssen. Nun ja, zumindest bei niemandem, den ich kannte und der mir etwas bedeutete. Und den ich nicht selbst getötet hatte. Bis jetzt war der Tod für mich nichts anderes als ein unvermeidlicher Teil meines Berufs gewesen – keine lebensverändernde Erfahrung. Noch nie hatte mich ein Verlust derart tief getroffen wie der von Vinca, und ich befürchtete, vor Schmerz zusammenzubrechen.
    Langsam trat ich ans Grab, den Blick auf den Hügel gerichtet. Als ich mich hinkniete, hatte ich das Gefühl, von meinem Körper getrennt zu sein. Meine Hände streckten sich wie von selbst aus, um die kalte Erde zu berühren und mir zu zeigen, dass Vinca tatsächlich tot und begraben war. Meine Kehle zog sich zusammen, so dass ich nichts sagen konnte. Also sprach ich die Wort in meinem Kopf – Worte der Trauer und der Abbitte, der Sehnsucht und der Reue, des Abschieds und der Freundschaft.
    Als ich fertig war, zog mich Adam hoch. Astrid trat ans Grab. Ihre Miene spiegelte tiefe Trauer und gleichzeitig grimmige Entschlossenheit wider.
    »Wir wollen jetzt die geheiligten Riten vollziehen.«
    Sie sprach es nicht aus, aber wir begriffen, dass wir gehen sollten. Offenbar wollten die Feen allein und für sich
um Vinca trauern, ohne von einem Außenstehenden dabei gestört zu werden.
    Der ganze Wald schien zu trauern. Als Adam und ich zusammen den Ort der Bestattung verließen, fiel mir auf, dass kein einziges Geräusch zu hören war. Keine Vögel sangen, keine Insekten summten, keine kleinen Tiere eilten durch das Unterholz. Die einzigen Laute, die wir hörten, war das gelegentliche Schluchzen von Vincas Familie und das rhythmische Schlagen der Totentrommeln.
    Wir liefen schweigend tiefer in den Wald hinein. Adams Hand fand bald die meine. Nach einer Weile kamen wir zu einer kleinen Holzbrücke, die über einen breiten Bach führte. Wir lehnten uns an das raue Holz des Geländers und lauschten dem Rauschen des Wassers.
    Adam sprach als Erster. Seine Stimme klang so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Sie werden die ganze Nacht dort sein und bei ihr wachen.«
    Ich schluckte und nickte, während ich einem Blatt nachsah, das auf dem Wasser davontanzte.
    »Es ist nicht unsere Schuld«, fügte er nach einer Weile hinzu.
    Eine Träne lief mir über die Wange und tropfte auf meine Hand. »Ich hätte ihn gleich in der ersten Nacht umbringen müssen. Dann wäre sie nie in die ganze Geschichte hineingezogen worden.«
    Adam nahm mich bei den Schultern und drehte mich sanft so hin, dass ich ihn ansah. Mit einer Hand hob er mein Kinn. Sein Gesicht verschwamm hinter dem Schleier aus Tränen, die sich in meinen Augen sammelten.
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