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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Anilda Ibrahimi
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für alle zugänglich war: Obwohl sie im Zentrum der Hauptstadt lag, hatte früher niemand die Straßen und Parks dort zu Gesicht bekommen, ganz zu schweigen von den großen Häusern, die so ganz anders waren als alle anderen in der Stadt. Von außen wirkte das Ganze wie ein riesiger grüner Park, aber innen hatte das Herz der Partei gelegen, das nur für das Volk schlug. Unterdessen waren die Villen zu Lokalen und Restaurants umfunktioniert worden.
    Neris Verlobte war mit einer Freundin gekommen, und während er an seinem Aperitif nippte, hatte er sich in jener so vertrauten blonden Mähne verloren. Die Zufälle des Lebens.
    Sie hatte Karriere gemacht, war Köchin bei der französischen Botschaft geworden. Sie hatte auch zwei Kinder, so hübsch und blond wie die Mutter. Die Ehe war friedlich, vielleicht sogar glücklich. Der Mann, den sie geheiratet hatte, war ein anständiger Kerl und ausgezeichneter Vater.
    Sie hatten sich erneut getroffen, regelmäßig und mit ganzer Leidenschaft, als hätten sie sich niemals getrennt, als wären nicht zehn lange Jahre vergangen. Manchmal, sagte er, weiß man ganz genau, dass man nicht zurück kann: Die Leidenschaft wird zu einem Requiem der vergangenen Liebe, so traurig wie alle Requien.
    Er erzählte mir, dass er jeden Morgen zur französischen Botschaft ging, nur um sie einen Augenblick lang zu sehen, dass er jeden Abend auf sie wartete, um sie nach Hause zu begleiten. Tag für Tag, bis diese Augenblicke zu Stunden, zu Abendessen, zu ganzen Wochenenden wurden. Das ging ein Jahr so. Er erzählte mir, dass er sie zu Silvester, während sie das Festessen zubereitete, angerufen und sie unter Tränen gebeten hatte, sich nur für einen kurzen Moment mit ihm zu treffen, da er ihr wenigstens alles Gute wünschen wollte. Sie war in Pantoffeln aus dem Haus gegangen, auf ihn zugetreten und hatte ihren Kopf an seine Brust geschmiegt. Sie hatte geweint und geweint, die warmen Tränen waren ihr die Wangen hinabgelaufen. Sie hatte die Blicke ihrer Kinder gespürt, die aus dem Fenster sahen. Er bat sie, in sein Auto zu steigen, sie würden zusammen fliehen, ganz weit fort, dorthin, wo ihr Schmerz gelindert würde. Sie hatte den Kopf gehoben, sie konnte nicht.
    Ich war beeindruckt von dieser Liebesgeschichte ohne Happy End. Mit meinen zwanzig Jahren erschien sie mir als das höchste der Gefühle. So kamen wir zwischen Geschichten und Jammerklagen, Erinnerungen und Tränen schließlich nach einiger Zeit zusammen.
    Er liebte mich, aber wir waren nicht glücklich. Er hatte zu viele Sorgen: Er wollte unbedingt reich werden. Wie denn reich?
    »Einfach reich«, antwortete er mir. »Was für eine dumme Frage, reich wie in Italien, in Amerika, in Frankreich … Reich durch Autos, durch Häuser oder Geschäfte.«
    »Aber was für eine Arbeit wirst du machen?«, fragte ich.
    »Ich werde ganz einfach reich sein, der Chef, verstehst du?«, erklärte er.
    Anfangs verstand ich es wirklich nicht.
    Ich verstand es noch nicht einmal, als ich ihn mit einer großen Tasche auf die Hügel der Hauptstadt begleitete. Wir taten so, als seien wir ein Pärchen, das nach einem Liebesversteck sucht. Dann holte er das Werkzeug heraus: zwei Steigeisen, wie sie die Telefontechniker verwenden. Er legte sie an und kletterte einen der Telefonmasten hinauf. Er zog sein Messer hervor, kappte eine Leitung und steckte sie in das schwarze Telefon, das er in einem Rucksack auf dem Rücken trug. Er telefonierte mit seinen Freunden, ich stand derweil Schmiere.
    Wir arbeiteten daran, reich zu werden.
    Dann bekam er die goldene Gelegenheit, wie er sagte. Es kamen Luxuswagen, die man im Westen gestohlen hatte und die er bloß weiterzuverkaufen brauchte. So fuhr ich ständig mit anderen Autos zur Uni: Mercedes, Porsche, Range Rover … Aber auch damit schaffte er es nicht, auf die Schnelle reich zu werden.
    Er wechselte erneut das Betätigungsfeld. Ich schnappte halbe Sätze auf, die irgendetwas mit Tabak zu tun hatten. Das Wort Montenegro fiel, und er verschwand für ein paar Tage. Blass und müde kehrte er zurück. Er war nur noch ein Schatten. Es ist bald alles zu Ende, sagte er.
    Ich verstand überhaupt nichts mehr, ich wollte nicht verstehen. Eines Morgens, während er im Bad war, berührte meine Hand etwas Kaltes unter seinem Kissen. Ich erschrak.
    Ich wollte mich von ihm trennen.
    »Du gehörst mir«, schrie er außer sich.
    Das war keine Liebe mehr, es war ein Tümpel voller versunkener Träume, ein Brunnen, in dem ich ertrank,
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