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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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waren fünfzehn Jahre älter, verdienten ein Vielfaches und hatten gute Kontakte in ihren Bereichen. Nur bei dürftigem Angebot kam es vor, dass der Ressortleiter auch von den Nachwuchsleuten Ideen forderte. Dann war es gut, nicht einfach stumm den Kopf schütteln zu müssen.
    Albin fiel eine Baustelle des Baumeisters Schmehil ein, die er am vergangenen Mittwoch nahe seiner eigenen Adresse entdeckt hatte. Schmehil errichtete gewöhnlich Läden für internationale Handelskonzerne. Gut möglich, dass dort eine bekannte Marke ihren Start in Österreich vorbereitete. Derlei kam bei ihrem Ressortleiter Konrad Vogel meistens gut an.
    . Der Rest der Wirtschaftsredaktion trudelte im Besprechungszimmer ein. Albin wählte rasch Schmehils Nummer. Er verlangte den »Herrn Baumeister«. Dieser Titel hatte sich in Schmehils Fall eingebürgert. Zwar war seine Firma für ein echtes Bauimperium zu klein, doch der fünfundsechzigjährige Mann war als umtriebiger Partylöwe berühmt.
    Die Telefonistin zögerte. »Wie war noch gleich Ihr Name?«
    Albin legte die Beine auf den Tisch. »Albin Fischer«, sagte er. »Der Herr Baumeister kennt mich.«
    In der Warteschleife ertönte eine besonders freudige Version des Donauwalzers. Sie passte perfekt zum Stephansdom, dessen gotischer Südturm für Renovierungsarbeiten eingerüstet war. »Der Herr Baumeister ist heute nicht erreichbar«, sagte die Telefonistin. »Kann Ihnen jemand anderes helfen?«
    »Es geht um die Baustelle in der Mariahilfer Straße.«
    »Einen Moment bitte.«
    Albin sah zum Fenster hinaus. Er mochte die Stadt, wenn sie mit ihren Sehenswürdigkeiten wie auf den Ansichtskarten aussah. Er meinte, in der milden Oktobersonne das Schimmern der bunt glasierten Dachziegel des Stephansdomes zu sehen. Und noch etwas fesselte seinen Blick: Es hing vom Baugerüst. Es war zu weit weg, um klar erkennbar zu sein. Doch für Albin sah es wie ein Mensch aus.
    Bei Schmehil meldete sich eine Männerstimme. »Sie haben eine Frage zur Baustelle Mariahilfer Straße?«
    Jemand, dachte Albin, könnte diesem Menschen eine Schlinge um den Hals gelegt haben, durch die Türmerstube, einem Aussichtspunkt für Dombesucher, nach draußen geklettert sein und ihn aufgehängt haben.
    »Herr AI …, AI …?«, sagte die Männerstimme.
    »Fischer. Albin Fischer.«, sagte er abwesend. Er musste in diesem Mordfall tatsächlich etwas unternehmen, dachte er. Sonst würden ihn solche Gespenster auch künftig verfolgen.
    Der Mann am anderen Ende der Leitung wurde ungeduldig. »Sie sind vom Report?«
    »Wirtschaftsredaktion.« Albin nickte und vergaß, dass sein Gesprächspartner das nicht sehen konnte. Er nannte die Hausnummer der Baustelle. »Was haben Sie dort vor?«
    »Solche Dinge dürfen wir nicht an die Presse weitergeben. Sie verstehen.«
    Vier Minuten später wusste Albin, dass die berühmte amerikanische Kaffeehauskette Franks Coffee-Corner an ihrem Markteintritt in Österreich arbeitete.
    In der Redaktion wurde die Beschaffung derartiger exklusiver Informationen als Aufriss bezeichnet. Wer viele Aufrisse hatte, stieg in der Beliebtheitsskala und bekam eines Tages einen besseren Vertrag. Doch Albin konnte sich nicht freuen. Er lehnte sich in seinem fahr-, dreh- und schwenkbaren Armsessel zurück und fühlte sich schwach, als hätte er seit der Vernehmung in Wildungsmauer noch kein Auge zugetan.
    Der Ressortleiter Vogel kam herein. Der übergewichtige Kettenraucher mit den wuchernden Nasenhaaren sah wie immer aus, als hätte er die Nacht auf dem Fußboden einer Kneipe verbracht. Er war zerknittert, seine Augen hatten rote Ränder und seine ergrauenden blonden Haare standen in verschiedenen Richtungen ab. »Sitzung«, sagte er mit fragendem Blick, als hinge das vom Einverständnis Albins und Daniels ab. Sie nickten beide und erhoben sich.
    Ihr Kollege Paul Stein wollte über die Fusionsprobleme der Wiener Vereinsbank mit ihrer neuen deutschen Mutter schreiben. Der Finanzmarktexperte Stein war zweiundvierzig Jahre alt und schrieb gelegentlich Kommentare im vorderen Teil des Blattes, die mit seinem Foto geschmückt waren. Bisweilen ließ er Albin und Daniel kleine Häppchen seiner Erfahrung zukommen.
    Der Volkswirtschaftsspezialist Michael Reith wollte über den steigenden Benzinpreis schreiben. Reith, der sich von seiner Gage ein Single-Leben mit dreiwöchigen Urlauben auf Gran Canaria, Innenstadt-Garçonnière und schicken Designerklamotten leistete, kam damit auch nicht besser als Stein an. »Ich habe
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