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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot
Autoren: Bernhard Salomon
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die Verschmutzung von Wiens Straßen durch die Fiaker-Pferde verhindert werden sollte. Es handelte sich um eine breite Schaufel, die per Fußpedal unter der Kutsche hervor genau unter das Hinterteil der Tiere geklappt werden konnte. Einzige Schwierigkeit: Der Kutscher musste deren Darmentleerung voraussehen.
    Das Heidentor wurde mit keiner Silbe erwähnt. Albin nahm auf einer weißen Kunststoffbank mit gelben Zigarettenflecken Platz und sah der Digitalanzeige der Station zu, wie sie die Minuten bis zum Eintreffen der nächsten U-Bahn zählte. Vielleicht hatte sich der Tote inzwischen als Selbstmörder erwiesen, erwog er. Die Anzeige sprang von zwei auf eins, dann blinkte ein gelbes Sternchen und in der Kurve des Tunnels tauchten die Scheinwerfer des heranrumpelnden Zuges auf.
    Am Stephansplatz bestieg er die U 1 in Richtung Kagran. Er hatte genug Zeit. Seine Arbeitswoche begann mit der Redaktionssitzung um elf. Er genoss es, seinen Dienst erst lange nach dem großen Sturm in die Büros antreten zu müssen. Der U-Bahn-Waggon war jetzt fast leer. Ein älteres Ehepaar beobachtete gelangweilt einen jungen Punk mit einem schlaffen Irokesenschnitt und einem schwarzen Schäferhundmischling, der den Kinderwagenplatz einnahm. Sarah lauschte wohl schon einer Vorlesung oder saß in der Universitäts-Bibliothek mit den grünen Lampen, den langen Holztischen und den raschelnden Buchseiten und lernte, dachte Albin.
    Vermutlich versuchte sie ebenfalls, den Montagmorgen zu vergessen.
    Anders als die meisten seiner Kollegen hatte es Albin versäumt, das neue Hochhaus der insgesamt acht Zeitschriften herausgebenden Dornbacher Verlagsgruppe schon in den vergangenen Wochen zu besichtigen. Jetzt war er beeindruckt. Es bestand aus zwei ineinander geschobenen Stahlbeton-Zylindern mit einer Haut aus Glas und Aluminium. Ganz oben blinkte eine riesige Tafel mit den Schlagzeilen des Tages, unterbrochen vom Programm eines nahen Kinopalastes. Links und rechts einer Schrankenschleuse waren Sicherheitsleute postiert. Die schienen ihren strengen Blick bei der Aushändigung der dunkelroten Uniformen entgegengenommen zu haben.
    Nach dem verwinkelten alten Redaktionshaus in der innerstädtischen Herrengasse war das neue auch innen ein Quantensprung an Modernität. In einer mit Stahl und Spiegeln verkleideten Aufzugkabine fuhr Albin nach oben. Das Stockwerk der Wirtschaftsredaktion erinnerte an das Innere eines japanischen Palastes: Die Wandelemente bestanden aus edlen Holzrahmen mit matt durchschimmernden Füllungen. Die Möbel und Lampen, in acht verschiedenen Pastelltönen gehalten, waren eigens von dem Stardesigner Samuel Brettschneider entworfen worden. Sogar die offenbar unvermeidlichen Zimmerpalmen in den fahrbaren Hydrokulturen sahen in diesem Rahmen wie etwas Besonderes aus.
    Albin erkannte seinen Schreibtisch an einer kleinen Karte mit dem Text »Herzlich willkommen an deinem neuen Arbeitsplatz, Fischer, Albin«. Er stand in einem Zweier-Büro mit erstklassiger Aussicht über die Donau bis zum Stephansdom. Neben seinem Computer lag eine Art Schlachtplan für das neue Gebäude, mit den Telefonnummern aller Mitarbeiter und einer Gebrauchsanweisung für die Klimaanlage.
    Trotz des fortgeschrittenen Vormittags war Albin der Erste im Büro. Er ließ zuerst das elektronisch gesteuerte Außenrollo herunter, weil der Bildschirm seines Computers von der Sonne blind war. Dann weihte er seinen neuen Bürosessel ein und fragte sich, was er in der bevorstehenden Ressortsitzung vorschlagen sollte.
    Albin war noch längst kein Experte in Sachen Wirtschaft. Er hatte die Lehrredaktion der Dornbacher Gruppe besucht, deren besten Absolventen schlecht bezahlte Pauschalistenjobs angeboten worden waren. Gemeinsam mit seinem Zimmerkollegen Daniel Hansen, der jetzt seine zerschlissene Tasche und den mitgebrachten Packen Zeitungen auf seinen neuen Schreibtisch warf, war er eher zufällig im Wirtschaftsressort gelandet.
    »Vom Erdgeschoss in den vierzehnten Stock«, brummte Daniel. »Wenn das kein Aufstieg ist.«
    Daniel hatte wasserblaue Augen, wirkte immer unfrisiert und hasste Krawatten, glatt gebügelte Hemden und steife Sakkos.
    »Es gibt hier ziemlich viel Sicherheitspersonal«, fügte er hinzu. »Vielleicht sind wir wichtiger, als wir denken.«
    Gleich darauf vergrub er sich, seinerseits auf der Suche nach einer Inspiration für die Sitzung, in den Wirtschaftsseiten der Morgenblätter.
    Gewöhnlich lieferten ihre arrivierten Kollegen die Themenvorschläge. Die
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