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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz
Autoren: Stendhal
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es sonst eher törichte Leute haben. Um den alten Pfarrer Chélan zu gewinnen, von dem sein künftiges Schicksal abhing, wie er wohl wußte, hatte er das Neue Testament lateinisch auswendig gelernt, an dessen Echtheit er indessen nicht glaubte. Außerdem kannte er das Papstbuch von Maistre 9a , das er aber auch nicht für Wahrheit nahm.
    Wie aus stummer Übereinkunft vermieden es Vater und Sohn, an jenem Tage miteinander zu sprechen. Gegen Abend ging Julian zum Pfarrer, zum theologischen Unterricht. Aus Vorsicht erzählte er ihm nichts von dem sonderbaren Angebot, das man seinem Vater gemacht hatte. »Vielleicht war das nur eine Falle«, sagte er sich. »Ich muß so tun, als hätte ich die Sache gar nicht ernst genommen!«
    Am andern Tage früh ließ Herr von Rênal den alten Sorel zu sich bitten. Nach länger denn einer Stunde begab sich der Sägemüller schließlich hin. Schon an der Tür erschöpfte er sich in tausend Entschuldigungen und ebensoviel Bücklingen. Im Laufe der Verhandlung vergewisserte sich Sorel nach allen möglichen Einwänden, daß sein Sohn für gewöhnlich die Mahlzeiten mit dem Herrn und der Frau des Hauses einnehmen, aber an Tagen, wo Gäste da wären, in einem besondern Zimmer zusammen mit den Kindern essen werde. Je mehr er merkte, daß es Rênal eilig hatte, um so mehr Schwierigkeiten machte er. Ebenso mißtrauisch wie verblüfft begehrte er unter anderm den Raum zu sehen, wo sein Sohn schlafen sollte. Es war ein großes, sehr freundlich ausgestattetes Zimmer, in das die Betten der drei Kinder bereits hereingeschafft wurden.
    Der alte Bauer schmunzelte insgeheim, verlangte aber nunmehr, dreist geworden, den Anzug zu sehen, den sein Sohn bekäme. Herr von Rênal öffnete sein Schreibpult und nahm hundert Franken heraus.
    »Mit diesem Geld«, sagte er, »wird Ihr Sohn zum Schneider Durand gehen und sich einen kompletten schwarzen Anzug machen lassen.«
    »Wenn ich meinen Jungen aber einmal wieder von Ihnen fortnehme, kann er dann den Anzug trotzdem behalten?«
    Sorel hatte jedwede Katzbuckelei vergessen.
    »Gewiß!«
    »Na, schön!« meinte Sorel bedächtig. »So bliebe nur noch eins auszumachen: Wieviel Gehalt wollen Sie geben?«
    »Was!« fuhr Rênal entrüstet auf. »Darüber sind wir uns doch schon gestern einig geworden! Ich gebe hundert Taler. Ich dächte, das wäre genug, ja übergenug!«
    »Das war Ihr Gebot! Sehr richtig!« erwiderte Vater Sorel. Seine Rede ward noch überlegsamer, und indem er Herrn von Rênal scharf anblickte, fügte er hinzu: »Andere Leute zahlen besser.«
    Das war so recht die geniale Frechheit eines Bauern der Freigrafschaft! Der Bürgermeister sah im Augenblick ganz verdutzt aus. Er faßte sich jedoch sofort, und nach reichlich zweistündigem Hin- und Hergerede, wobei kein unüberlegtes Wort fiel, siegte die Schlauheit des Bauern über die Schlauheit des Patriziers, dieweil sie bei diesem nicht Daseinsbedingung war. Julians neue Lebensweise ward in einer langen Reihe von Punkten festgelegt. Sein Gehalt solle vierhundert Franken im Jahre betragen, zahlbar jeden Ersten des Monats im voraus.
    »Also zahle ich ihm monatlich fünfunddreißig Franken!« erklärte Herr von Rênal.
    »Sagen wir: sechsunddreißig, eine runde Summe.« Und schmeichlerisch fügte der Bauer hinzu: »Ein reicher und freigebiger Mann wie der Herr Bürgermeister wird sich nicht lumpen lassen!«
    »Abgemacht!« sagte Rênal. »Aber nun bleibt es dabei!«
    Der Zorn verlieh ihm plötzlich den Ton der Bestimmtheit. Der Bauer merkte, daß er nicht weiter gehen durfte. Jetzt gewann wieder Herr von Rênal die Oberhand. Er dachte nicht daran, die sechsunddreißig Franken für den ersten Monat dem Alten anzuvertrauen, der sie am liebsten auf der Stelle für seinen Sohn eingestrichen hätte. Auch fiel Herrn von Rênal ein, daß er seiner Frau etwas Imponierendes über seine Verhandlung mit dem Bauern berichten mußte.
    »Geben Sie mir die hundert Franken wieder, die ich Ihnen vorhin eingehändigt habe«, sagte er ärgerlich. »Durand ist mir etwas schuldig. Ich werde mit Ihrem Sohne hingehen und den Anzug selber aussuchen.«
    Sorel hatte seine Kraft erprobt; jetzt verschanzte er sich schlauerweise abermals hinter höflichem Gerede. Dies dauerte eine gute Viertelstunde. Als er am Ende aber einsah, daß platterdings nichts mehr zu erreichen war, empfahl er sich. Seine letzte Verbeugung ward von den Worten gekrönt:
    »Ich schicke meinen Sohn sofort ins Schloß.«
    So nannten die Unterbeamten des
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