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Rosenrot

Titel: Rosenrot
Autoren: Arne Dahl
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alles zusammenfügte. Der Zorn galt vielleicht der Tatsache, dass Kerstin gezwungen war, vor ihm zu verbergen, dass sie ein Kind erwartete. Als er Olas Geschichte mit seiner eigenen verglich, sah er vielleicht ein, wie abscheulich er sich verhalten hatte. Dass er seine Frau so teuflisch behandelt hatte, dass sie nicht nur das Gefühl hatte, ihre Schwangerschaft vor ihm verheimlichen zu müssen, sondern auch noch das Kind wegzugeben. Er – der erlebt hatte, wie seine Mutter verschwand –, er hatte die Mutter gezwungen, ihr Kind wegzugeben. Nur um es von ihm fernzuhalten. Natürlich muss er während der Behandlungsphasen eingesehen haben, wie grausam das war. Vielleicht war es Selbstverachtung, die ihn da in der Bibliothek überkam? Ungefähr wie bei dir, Gunnar.«
    »Ja, danke«, sagte Nyberg. »Ich weiß, wie man sich dabei fühlt. Wirklich.«
    »Er hat mehrere Menschen getötet«, sagte Hultin. »Einem hat er den Hals durchgeschnitten und den Kopf auf eine Tür gesetzt, damit er einem Polizisten auf den Kopf fallen sollte. Verhält sich so ein Mann, der von Schuldgefühlen getrieben wird?«
    »Wenn man weiter mit der Bibel argumentieren will, könnte man vom Sündenbock sprechen«, sagte Söderstedt. »Man nahm buchstäblich einen Bock und ließ ihn die Sünden der Menschen auf sich nehmen und in der Wüste verschwinden. Das ist es, was Lundmark mit Skarlander getan hat. Daher die Grausamkeit. Er wird zum Sündenbock, der die Sünden der Welt auf sich versammelt. Dann soll sein Kopf auf unsere Köpfe herunterfallen. Ungefähr wie der Apfel auf Newtons Kopf. Und der hatte wirklich einen Genieblitz. Vielleicht haben wir das auch. Hier und jetzt. Vielleicht war Lundmark nie darauf aus, zu morden. Vielleicht ist es einfach so gekommen. Du warst es, Sara, die davon gesprochen hat: Als Kerstin und Paul Lundmark verhören, wird ihm klar, dass Kerstin ihr Kind tatsächlich verdrängt hat. Und diese Verdrängung ist absichtlich. Es ging darum, das Kind von Dag Lundmark, der Inkarnation des Teufels, fernzuhalten. Um den Preis der eigenen Erinnerung.«
    Sie sahen Kerstin an. Sie saß da, blass und mitgenommen, und nickte. Kein Wort – aber deutliches Nicken.
    »Was wäre dann der Zweck von alledem?« fragte Hultin. »Was will er?«
    »Das Zersplitterte heil machen«, sagte Arto Söderstedt emphatisch.
    Neues verdichtetes Schweigen.
    »Da ist noch etwas«, sagte Chavez nach einer Weile.
    »Was denn?« fragte Hultin.
    »In beiden Zitaten ist es Johannes der Täufer, der spricht.«
    Es wurde Abend, und es wurde Nacht. Der sechste Tag.

40

    Es war Dienstag, der elfte September, früher Nachmittag. Die Zeit verrann zwischen den Fingern. In allen Zimmern saßen sie und beschäftigten sich mit dem Lösen von Rätseln. Wie Schulkinder. Oder eher wie Konfirmanden. Bibelkunde. Denn es war vollkommen klar, dass in den Bibelzitaten, die Dag Lundmark bei der Leiche Victor Lövgrens zurückgelassen hatte, eine Mitteilung steckte, in ihrer Kombination.
    ›Oreb, Seeb, Abner, Gilboa.‹
    ›Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?‹
    ›Es ist nicht recht, dass du sie habest.‹
    Kerstin saß Paul gegenüber. Das letzte Mal war einige Zeit her. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren, das sah man ihr an. Sie war anderswo. Wäre es jemand anders gewesen, hätte er gesagt: Fahr nach Hause, ruh dich aus, nimm dir Zeit. Aber Kerstin war hinter ihrem Kind her, nicht mehr und nicht weniger, sie war eine Mutter auf der Jagd nach ihrem Sohn. Und nur wenige Kräfte im Universum sind stärker.
    Aber sie waren einem kühlen und geduldigen Denken nicht förderlich. Und das war jetzt zuallererst vonnöten.
    ›Oreb, Seeb, Abner, Gilboa‹. Viele Hinweise auf ein und dasselbe. Enthauptung. Um es einzuhämmern. Damit wir merken, dass er es einhämmert.
    Und dann die Zitate von Johannes dem Täufer, dem ebenfalls enthaupteten Prediger. Das erste Zitat, das vom Otterngezücht, war mehr eine Wiederholung der früheren Zitate, eine Wiederanknüpfung für den Fall, dass die A-Gruppe auf die Idee käme, die Zeit des Zorns zu vergessen. Das zweite erschien wichtiger. Es stand in folgendem Zusammenhang: König Herodes lebt mit der Ehefrau seines Bruders, Herodias,
    zusammen. Es geht um sie, wenn der gefangene Johannes der Täufer sagt: ›Es ist nicht recht, daß du sie habest.‹ Herodes will ihn daraufhin töten, wagt es jedoch nicht wegen des Volks, das in Johannes einen Propheten sieht. Der offenbar
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