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Rose

Rose

Titel: Rose
Autoren: Marcel Conrad
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Kuss.“
1980
    Die flache Hand traf ihn so stark im Gesicht, dass er vom Stuhl auf den Küchenboden fiel. Diese Hand hatte den Zehnjährigen schon des Öfteren getroffen, doch heute war es besonders heftig. Das Blut, das aus seiner Nase rann, war metallisch-süß. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schmeckte es ihm doch recht gut. Michael hatte sein Blut schon öfter kosten müssen, weil sein Stiefvater gerne mal zuschlug.
    „Steh auf und wisch dir das Blut ab, du saust mir ja den ganzen Fußboden ein! Und hör auf zu flennen, was bist du? Eine Schwuchtel, die rumheult oder willst du ein echter Mann sein?“
    Michael liebte diesen Mann, obwohl er äußerst brutal war, doch in seinen Augen war sein Stiefvater der stärkste Mann der Welt. Seinen leiblichen Vater hatte der Zehnjährige noch nicht kennen gelernt. Er hatte immer nur mitbekommen, wenn seine Mutter in übelster Weise über ihn gelästert hatte, was für ein verweichlichter Wixer er doch war und dass er nicht mal in der Lage war, seine Familie zu ernähren, sondern immer nur rumheulte, wie gemein doch die Welt zu ihm war und dass ihm keiner eine Chance gab, um zu beweisen, dass er es doch drauf hatte
    „Michael, sei froh, dass du Klaus als Vater hast, denn er ist ein richtiger Mann. Wenn du aufpasst und viel von ihm lernst, wirst du es mal weit bringen.“ Ja, und Michael war sehr stolz auf seinen Stiefvater, er war sein Held. Er war der Beschützer der Armen und Schwachen. Jedes Mal, wenn Klaus sich für die Arbeit fertig machte und seine Uniform anzog, leuchteten Michaels Augen.
    „Hier, mein Sohn, schau dir meine Pistole an, sie hat schon vielen Menschen das Leben gerettet und einigen hat sie das Leben genommen. Doch nur ein echter Mann darf sie benutzen. Du willst doch ein echter Mann werden, oder?“
„Ja, das will ich.“
„Siehst du und ich werde aus dir einen echten Mann machen. Deshalb bin ich so streng zu dir. Ich liebe dich und deshalb muss ich dich hart machen, denn die Welt da draußen ist böse und gemein und wenn du da nicht hart bist, wirst du es nie zu etwas bringen, dann wirst du genauso eine Weichwurst wie dein Erzeuger. Doch wenn ich mit dir fertig bin, kannst du da draußen alles schaffen, dann bist du derjenige, der die Armen und Schwachen beschützt. Verstehst du das?“
„Ja, Vater, das verstehe ich.“
    Und Michael glaubte ihm jedes Wort. Er war niemals zärtlich, nicht zu ihm und auch nicht zu seiner Mutter. Er war halt immer wachsam und darauf bedacht, seine Familie zu beschützen. Er duldete keine Schwäche - in keiner Form. Sei es in der Schule oder draußen beim Spielen. „Gewinnen das ist das Ziel“, sagte er immer. „Die Welt hat schon genug Verlierer.“
    „Nun geh ins Bad und wisch dir das Blut ab, und Michael?“
„Ja, Vater?“
„Denk dabei darüber nach, warum du dir eine eingefangen hast.“
„Ja, Vater, das werde ich.“
    Klaus bestand darauf, dass Michael, Vater zu ihm sagte und nicht Papa oder noch schlimmer Papi oder Vati. Als er wieder aus dem Bad kam, setzte er sich aufrecht an den Küchentisch, so wie Männer halt sitzen.
    „So, mein Sohn, warum?“
„Weil ich eine Drei in der Mathearbeit geschrieben habe?“
„Habe ich dir beigebracht, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten?“
„Nein.... Ich habe nur eine Drei in der Mathearbeit geschrieben, weil ich faul war. Hätte ich gelernt, dann wäre es eine Eins gewesen und deshalb musste ich bestraft werden.“
„So ist es richtig. Und was wirst du jetzt tun?“
„Ich werde noch mehr üben, damit so eine schlechte Note nicht mehr vorkommt.“
„Und warum musst du die besten Noten haben?“
„Damit ich auch später die beste Arbeit bekomme.“ Michael sah in dem Gesicht von Klaus einen Anflug von Zufriedenheit. Fast nicht sichtbar doch für den Jungen klar zu sehen. Er hatte das Gefühl, dass sein Stiefvater stolz auf ihn war, aber in Wirklichkeit war Klaus nur stolz auf sich selbst, er war tatsächlich der Meinung, dass er das Kind richtig erziehen würde.
    „So, nun geh in dein Zimmer und lerne, denn ich will nicht noch mal so eine schlechte Note sehen müssen. Haben wir uns verstanden?“
„Natürlich, Vater.“ Als Michael an seinem Schreibtisch saß, tastete er mit seinen Händen sein Gesicht ab. Es schmerzte recht stark, doch es war ein schöner Schmerz. Die Leidenschaft, die in diesem Schlag war, war immer noch zu spüren. Dieser Schmerz war voller Kraft, so ehrlich, so rein.
    Es war einfach ein erotisches Gefühl.
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