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Roman

Roman

Titel: Roman
Autoren: Katy Regan
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verspürte, weil sie Alexis Simone bekommen hatte und ich Caroline Marie, einen Namen, der auch für ein Binnenschiff taugte. Aber da war auch noch ein anderes Gefühl, das mich überraschte: Freude. Überwältigende, schwindelerregende Freude, die verhinderte, dass ich mein Weetabix-Müsli herunterschlucken konnte. Ich hatte eine Schwester! Ich hatte mir immer eine Schwester gewünscht. Vor allem, weil ich mich mit meinem Bruder Chris, der meines Erachtens leicht autistische Züge aufwies und dessen große Liebe sein vollgekrümelter Nintendo war, ein bisschen betrogen gefühlt hatte.
    »Und? Geht es ihr gut? Ich meine, ist sie gesund?«, fragte ich. Ich betrachtete mich gerne als fürsorgliche Person und sah selbst damals schon über persönliche Befindlichkeiten hinweg, was auch notwendig war, denn wenn jemand zwei Verrückte als Eltern hatte, dann war ich das.
    »Oh ja, es geht ihr gut … körperlich«, betonte Mum und knallte die Waschmittelschublade zu. »Die Zeit wird zeigen, was sie mit ihrem Verstand anrichten.«
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, wie es sein würde, eine Halbschwester zu haben. Ich schätze, ich dachte irgendwie, dass wir uns gegenseitig Klamotten leihen und über Jungs reden würden, selbst wenn Alexis – Lexi, wie sie bald genannt wurde – erst einen Tag alt war und ich darauf noch jahrelang würde warten müssen.
    Damals fuhr ich jedes zweite Wochenende von Mums Haus in Harrogate zu Dads Haus (na ja, es gehörte eigentlich Cassandra) in Doncaster. Cassandra war eine extravagante Amerikanerin, die ein Glasauge so lange vollquatschen konnte, dass es einschlief, und die immer extrem weite Kleider trug, die aussahen, als wäre sie mit einem Wasserfarbkasten zusammengestoßen. Dad hatte sie auf dem Höhepunkt seiner Midlife-Crisis bei einem Kurs mit dem Titel »Heile dein Leben« kennengelernt, den sie bei sich zu Hause veranstaltet hatte.
    Jedenfalls wollte ich an jenem Wochenende unbedingt zu Dad, um meine neue Schwester mit dem coolen Namen kennenzulernen. Meine kleine Schwester. Meine eigene Vertraute! Jemand, der mich vor meiner verrückten Familie retten würde – und vor allem vor mir selbst und diesem alles in allem unterdurchschnittlichen Leben, das ich führte.
    Sobald ich jedoch das Haus betrat, wurde mir die andere Sache bewusst, die ich nicht bedacht hatte – abgesehen von der Tatsache, dass ich noch ungefähr sechzehn Jahre würde warten müssen, bevor ich mit meiner Schwester über mein Problem sprechen könnte, dass ich noch immer Jungfrau war (und bei dem Tempo, in dem sich die Dinge entwickelten, wäre ich dann immer noch eine) –: der Umstand, dass mein Vater ganz verrückt nach diesem neuen kleinen Wesen sein würde und das meine Welt endgültig zusammenbrechen lassen würde.
    Cassandra stillte gerade, als ich ankam, und Dad saß neben ihr auf dem Sofa und streichelte Lexis Kopf. Ich stand im Türrahmen, und meine Kehle schnürte sich vor lauter Eifersucht zusammen.
    Eigentlich hätte man davon ausgehen sollen, dass Cassandra als Life-Coach und Dad – der sich in einen Yoga liebenden Therapie-Süchtigen verwandelt hatte und Worte wie »innere Öffnung« in normalen Gesprächen verwendete – sensibel reagieren und mir Zeit geben würden, mich an die Situation zu gewöhnen. Aber nein. Cassandra hob Lexi einfach von ihren gigantischen Brüsten, die aus einem Büstenhalter heraushingen, der so groß war wie ein Kopfkissenbezug.
    »Caroline, das ist Alexis Simone, deine kleine Schwester. Ist sie nicht süß?«
    Sie war so leicht, dass sie mir fast durch die Finger gerutscht wäre.
    »Ja, sie ist, ähm … süß«, erwiderte ich und hielt sie so, wie man ein Bündel Feuerholz hält – ein Versuch, all die kleinen Knochen und alle anderen Teile zusammenzuhalten. Ich war entsetzt, schockiert darüber, wie klein sie war. Was sollte sie mir nützen? Wie konnte dieses weiche, quäkende Ding, das aussah wie ein neugeborener Affe, mich vor irgendetwas retten?
    Cassandra lächelte mich an, den Kopf zur Seite gelegt. Dann holte Dad seine Kamera heraus. Das war so peinlich!
    »Leg sie an deine Brust, Süße«, drängte mich Cassandra, deren riesige Hupen immer noch wie Wasserbomben baumelten. »Babys lieben Hautkontakt, dadurch fühlen sie sich sicher.«
    Tja, aber ich fühlte mich nicht sicher, ich kam mir vor wie ein totaler Idiot. Ich berührte ihren Kopf – nur weil ich das Gefühl hatte, dass ich das tun müsste –, aber er fühlte sich an wie ein überreifer
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