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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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heimgesuchte Karthago eingeschlummert. Diese vorwärts schreitende Menschheit, die von der verborgenen Kraft der Zivilisationen derart vom Orient dem Occident zugewälzt ward, bezeichnete ihre Tagreisen mit Ruinen. Welch furchtbare Sterilität besitzt heute diese Wiege der Geschichte, dieses Asien, dieses Aegypten, die zum Lallen der Kindheit zurückkehrten und unbeweglich, in Unwissenheit und Hinfälligkeit auf den Trümmern der antiken Hauptstädte, der einstigen Herrinnen der Welt liegen!
    Während des Fahrens, mitten in seinem Sinnen, hatte Pierre die Empfindung, daß der in Nacht gehüllte Palazzo di Venezia unter irgend einem Ansturm des Unsichtbaren zusammenzubrechen scheine. Der Nebel hatte seine Zinnen umzogen; die hohen, kahlen, so furchtbaren Mauern bogen sich unter dem Druck des wachsenden Dunkels. Nach dem tiefen, grabenähnlichen Corso links, der ebenfalls einsam unter dem weißlichen Licht der elektrischen Lampen dalag, erschien rechts der Palazzo Torlonia, dessen einer Flügel von der Haue der Niederreißer aufgerissen war; weiterhin dagegen, wieder links, zog sich die düstere Fassade des Palazzo Colonna mit ihren geschlossenen Fenstern hin, als ob der von seinen Herren verlassene, seines einstigen Prunkes beraubte Palast ebenfalls die Niederreißer erwarte.
    Während nun der Wagen langsam weiterrollte und die Via Nazionale hinaufzufahren begann, spann sich Pierres Träumerei fort. Hatte die Zerstörung, die die vorwärtsschreitenden Völker fortwährend hinter sich ließen, nicht nun auch Rom ergriffen? War nicht auch seine Stunde des Verschwindens gekommen? Griechenland, Athen und Sparta schlummerten in ihren glorreichen Erinnerungen und zählten für die heutige Welt nicht mehr. Der ganze untere Teil der italienischen Halbinsel war bereits von der fortschreitenden Lähmung ergriffen. Nun war, gleichzeitig mit Neapel, Rom an der Reihe. Es befand sich an der Grenze der Ansteckung, am Rande jenes Todesfleckens, der sich unablässig über den alten Kontinent ausbreitet, an jenem Rande, wo der Todeskampf eintritt, wo die erschöpfte Erde keine Städte mehr nähren oder tragen will, wo die Menschen selbst von ihrer Geburt an von Altersschwäche befallen zu sein scheinen. Seit zwei Jahrhunderten ging Rom abwärts, schied nach und nach aus dem modernen Leben aus, besaß keinen Handel, keine Industrie mehr, ja sogar keine Wissenschaft, keine Literatur und Kunst. Nun war es nicht allein St. Peter, der zusammenbrach, der so wie einst der Tempel des Jupiter Capitolinus das Gras mit seinen Trümmern besäte. In seiner finstern, schmerzlichen Träumerei sah Pierre ganz Rom mit einem letzten Krachen zusammenbrechen, die sieben Hügel mit dem Chaos seiner Ruinen bedeckten. Die Basiliken, die Paläste, ganze Viertel waren verschwunden und ruhten unter den Nesseln und Dornen. Gleich Ninive und Babylon, gleich Theben und Memphis war Rom nur mehr eine flache Ebene, bedeckt mit Trümmern, unter denen man vergeblich die Stelle der alten Gebäude zu erkennen versuchte. Nur Schlangen und Banden von Ratten bewohnten sie.
    Der Wagen beschrieb eine Wendung und Pierre erkannte rechts in einer ungeheuren, nachtdunklen Bucht die Trajanssäule. Aber zu dieser Stunde war sie ganz schwarz, wie der abgestorbene Stamm eines Riesenbaumes, dessen Zweige durch sein hohes Alter abgefallen sind. Und weiter oben, als er, während er über den dreieckigen Platz fuhr, den Blick hob, erschien ihm der Baum, den er an dem bleifarbenen Himmel bemerkte – die Schirmpinie der Villa Aldobrandini, die dort wie die Anmut und der Stolz Roms selbst stand – fortan nur mehr wie ein Schmutzfleck, wie eine kleine Kohlenstaubwolke, die aus dem vollständigen Zusammenbruch der Stadt aufstieg.
    Jetzt, am Ende dieses tragischen Traumes, wurde sein von unruhiger Bruderliebe erfülltes Herz von Entsetzen erfaßt. Wenn die durch die gealterte Welt gehende Erstarrung Rom überschritten, wenn sie die Lombardei erfaßt haben wird, wenn Genua, Turin und Mailand so einschlafen werden, wie Venedig bereits schläft, dann kommt also die Reihe an Frankreich. Sie wird über die Alpen gehen, der Sand wird die Häfen Marseilles gleich denen von Tyrus und Sidon zuschütten, Lyon in Einsamkeit und Schlummer versinken und zuletzt wird Paris, von der unbesiegbaren Betäubung ergriffen, in ein unfruchtbares, mit Disteln bewachsenes Steinfeld verwandelt, sich Rom, Ninive und Babylon im Tode anschließen, während die Völker ihren Marsch von Sonnenaufgang gen Sonnenuntergang
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