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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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sein – welch ungeheurer Traum! Es war die Rolle des von den leidenden Volkern erhofften, herbeigerufenen Messias. Einen Augenblick ward Pierre davon bethört; ein Sturm von Hoffnung und Triumph hob ihn empor und trug ihn fort. Und wenn es nicht in Frankreich, in Paris sein konnte, so würde es in der Ferne, da drüben, auf der andern Seite des Ozeans, oder noch weiter, wo immer in der Welt geschehen, auf irgend einem Boden, der fruchtbar genug wäre, damit der neue Same zu üppiger Ernte aufgehe. Eine neue Religion! Eine neue Religion! So hatte er nach Lourdes aufgeschrieen. Eine Religion, die nicht hauptsachlich ein Gelüst nach dem Tode wäre! Eine Religion, die endlich das Reich Gottes, von dem das Evangelium spricht, hienieden verwirklicht, die den Reichtum nach Billigkeit teilte und zugleich mit dem Gesetz der Arbeit Wahrheit und Gerechtigkeit herrschen ließ!
    In dem Fieber dieses neuen Traumes sah Pierre bereits die Seiten seines nächsten Buches, in dem er durch die Verkündigung des Gesetzes des verjüngten, befreienden Christentums das alte Rom vollends zerstören würde, vor sich aufflammen. Da fiel sein Blick auf einen Gegenstand, der auf einem Stuhl liegen geblieben war. Anfangs überraschte ihn sein Anblick. Es war auch ein Buch, das Werk Teophil Morins, das der alte Orlando ihm gegeben, damit er es seinem Verfasser zurückstelle; er wurde böse auf sich selbst, als er es erkannte, denn er sagte sich, daß er es sehr leicht hätte vergessen können. Ehe er seinen Handkoffer öffnete, um es hinein zu legen, behielt er es einen Augenblick in der Hand und blätterte darin; seine Gedanken hatten sich plötzlich geändert, als ob mit einemmale ein bedeutendes Ereignis, eine jener entscheidenden Thatsachen eingetreten sei, die eine Welt in Aufruhr bringen. Dennoch war es eines der bescheidensten Werte, das Schulhandbuch für das Baccalaureat und enthielt nichts als die Elemente der Wissenschaften; aber alle Wissenschaften waren darin vertreten und es faßte so ziemlich den gegenwärtigen Stand des menschlichen Wissens zusammen. Mit einem Worte, es war die Wissenschaft, die plötzlich, mit der Wucht, mit der unwiderstehlichen Energie einer allmächtigen, unumschränkten Macht in die Träumerei Pierres einbrach. Sie fegte nicht nur den Katholizismus wie Ruinenstaub hinweg, sondern alle religiösen Begriffe, alle Hypothesen vom Göttlichen schwankten und brachen durch sie zusammen. Dieser bloße Schulauszug, dieses unendlich kleine Schulbuch, der bloße, allgemeine Wunsch nach Wissen, dieser sich täglich ausbreitende, das gesamte Volk ergreifende Unterricht genügte, damit die Mysterien lächerlich wurden, die Dogmen zusammenbrachen und nichts von dem alten Glauben aufrecht blieb. Ein mit Wissenschaft genährtes Volk, das weder an Mysterien und Dogmen, noch an das Entschädigungssystem mittelst Strafen und Belohnungen glaubt, ist ein Volk, dessen Glaube für immer tot ist; und ohne Glauben kann der Katholizismus nicht bestehen. Das ist die Schneide des Hackmessers, das Messer, das herabfällt und durchschneidet. Wenn ein, wenn zwei Jahrhunderte dazu nötig sind, so wird die Wissenschaft sie abwarten. Sie allein ist ewig. Es ist naiv, wenn man sagt, daß die Vernunft dem Glauben nicht zuwider ist und daß die Wissenschaft die Magd Gottes sein muß. Wahr ist, daß von heute ab die heilige Schrift zu Grunde gerichtet ist und daß man sie, um ihre Bruchstücke zu retten, den neuen Gewißheiten anbequemen mußte, indem man zum Symbol Zuflucht nahm. Was für eine außerordentliche Haltung nimmt die Kirche ein, indem sie jedem, der eine den heiligen Büchern zuwiderlaufende Wahrheit entdeckt, verbietet, sich in entschiedener Weise auszusprechen; denn sie erwartet, daß diese Wahrheit eines Tages als Irrtum überführt werden wird! Der Papst allein ist unfehlbar, die Wissenschaft kann fehlen; man beutet ihr fortwährendes Tasten gegen sie aus und liegt auf der Lauer, um ihre Entdeckungen von heute in Widerspruch zu denen von gestern zu stellen. Was kümmern einen Katholiken ihre gotteslästerlichen Behauptungen, was liegt ihm an den Gewißheiten, mit denen sie das Dogma angreift, da er doch überzeugt ist, daß am Ende der Zeiten Wissenschaft und Glaube sich vereinigen werden, so zwar, daß die erstere buchstäblich wieder die Sklavin des letzteren geworden sein wird? War diese freiwillige Verblendung und diese, sogar das Sonnenlicht wegleugnende freche Haltung nicht wunderbar? Und das unterste Büchlein, das
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