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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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dieses finstere, zum Selbstmord führende Elend inmitten des großen, von Reichtum strotzenden, genußtrunkenen Paris, das für Vergnügungen Millionen auf die Straße streute, war nicht mehr möglich! Das soziale Gebäude war in seinen Grundfesten verfault, alles brach in Kot und Blut zusammen. Noch nie hatte er es so tief empfunden, wie nutzlos und trügerisch die Wohlthätigkeit war. Und mit einemmale ward er sich bewußt, daß das erwartete Wort, das Wort, das endlich aus dem Munde des großen, uralten Stummen, des zermalmten und geknebelten Volkes hervorbrach, das Wort »Gerechtigkeit« war. Ja, ja, Gerechtigkeit, nicht mehr Barmherzigkeit! Die Barmherzigkeit hatte das Elend nur verewigt; die Gerechtigkeit wird es vielleicht heilen. Nach Gerechtigkeit hungerten die Unglücklichen; nur ein Akt der Gerechtigkeit konnte die alte Welt hinwegfegen, um die neue wieder aufzubauen. Der große Stumme würde weder dem Vatikan noch dem Quirinal, weder dem Papst noch dem König gehören; in seinem langen, bald geheimen, bald offenen Kampf durch alle Zeiten hatte er nur so dumpf gegrollt und sich zwischen Pontifex und Kaiser, die ihn jeder für sich allein haben wollten, nur so gewehrt, um sich zu fassen, um an dem Tage, da er »Gerechtigkeit« schreien würde, auszusprechen, daß er niemand gehören wolle. Sollte dieser Tag der Gerechtigkeit und Wahrheit also endlich schon morgen anbrechen? In seiner Herzensangst, geteilt zwischen dem Bedürfnis nach dem Göttlichen, das den Menschen quält, und der Oberherrschaft der Vernunft, die ihm hilft, am Leben zu bleiben, war Pierre nur von einem überzeugt: er wollte seinen Schwur halten, als Priester ohne Glauben über den Glauben der anderen wachen und seinem Berufe keusch und ehrenhaft obliegen, voll stolzer Trauer, daß er seiner Intelligenz nicht habe entsagen können, so wie er seiner Liebessinnlichkeit und seinem Traum, der Retter der Völker zu werden, entsagt hatte. Und von neuem, gerade so wie nach Lourdes, wollte er warten.
    Aber seine Betrachtungen an diesem Fenster, angesichts dieses von Dunkel überzogenen Rom, dessen Gebäude die Nebelflut zu schleifen schien und überschwemmte, waren so tief geworden, daß er nicht hörte, wie eine Stimme ihn rief. Er hörte nicht eher, als bis eine Hand seine Schulter berührte.
    »Herr Abbé, Herr Abbé!«
    »Es ist halb zehn,« sagte Victorine, als er sich endlich umdrehte. »Der Fiaker ist unten, Giacomo hat das Gepäck schon hinuntergetragen. Sie müssen fort, Herr Abbé.«
    Dann, als sie sah, daß seine Lider noch ganz erschreckt zuckten, lächelte sie.
    »Sie haben von Rom Abschied genommen. Der Himmel sieht recht häßlich aus.«
    »Ja, recht häßlich,« sagte er einfach.
    Nun gingen sie hinab. Er hatte ihr eine Hundertfranknote übergeben, die sie mit den Bedienten teilen sollte. Sie entschuldigte sich, daß sie die Lampe nehme und ihm vorangehe, »denn« erklärte sie, »man sehe kaum einen Schritt vor sich, so finster sei der Palast heute abend.«
    Ach, diese Abreise, dieser letzte Gang durch den finstern und leeren Palast! Pierre ward davon erschüttert. Er hatte den letzten Abschiedsblick über sein Zimmer geworfen; solch ein Abschied erfüllte ihn immer mit Verzweiflung und riß ein Stück von seiner Seele ab, selbst wenn er ein Zimmer verließ, in dem er gelitten hatte. Dann, vor dem Zimmer Don Vigilios, aus dem nur eine schauernde Stille hervordrang, stellte er sich vor, wie er den Kopf in die Kissen drückte, den Atem zurückhielt, aus Furcht, daß sein Atem noch sprechen und die Rache auf ihn herabziehen könne. Aber besonders auf den Treppenabsätzen des zweiten und ersten Stockwerks, vor den geschlossenen Thüren Donna Serafinas und des Kardinals erzitterte er, da er gar nichts, nicht einmal einen Hauch hörte; es war als ginge er an Gräbern vorüber. Seit ihrer Rückkehr vom Begräbnis hatten sie kein Lebenszeichen gegeben; sie hatten sich eingeschlossen und damit auch das ganze Haus in Unbeweglichkeit versetzt. Man konnte weder ein gewispertes Gespräch noch den leisen Tritt eines Dieners vernehmen. Victorine ging, die Lampe in der Hand haltend, immer weiter und Pierre folgte ihr, indem er an die beiden dachte, die in dem zerstörten Palaste zurückblieben – die letzten aus einer halb zerfallenen, an der Schwelle einer neuen Welt stehenden Welt. Dario und Benedetta hatten alle Lebenshoffnung mitgenommen; nichts mehr war übrig geblieben als die alte Jungfer und der unfruchtbare Priester. Eine Auferstehung
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