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Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)

Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)

Titel: Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Autoren: Alexandra Balzer
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schwiegen beide, tief in Gedanken versunken. Endlich gab sich Niyam einen Ruck.
„Hilf mir, Misham, wir müssen Eiven aus diesem Loch raus holen, sonst stirbt er. Ich bringe ihn zu einem der lebendigen Bäume. Du fliegst danach erst mal nach Hause und sagst deinen Freunden entweder, dass ich dich mit seiner Leiche erwischt habe und dir helfen wollte, sie zu beseitigen, oder aber du erzählt die Wahrheit. Das bleibt dir überlassen, wie sehr du ihnen vertraust, mir ist es gleich. Hauptsache, sie schweigen! Laremo erzählst du, du wärst mir begegnet und ich hätte dir von einem alten Baumlager und Spuren eines einzelnen Mannes erzählt, die ich zufällig an der Westgrenze gefunden hätte, einer Spur, der ich folgen wollte. Damit ist erklärt, warum ich für ein oder zwei Tage nicht nach Hause kommen werde. Wenn du zwischendurch eine Gelegenheit hast, bringst du mir Ausrüstung, Kleidung, Proviant, was immer du stehlen kannst, ohne dass es auffällt. Klar?“
Schweigend arbeiteten sie, Hand in Hand, wuschen das Blut von Eivens Körper und hüllten ihn vorsichtig in seine achtlos weggeworfene Kleidung. Niyam hob ihn hoch, erschüttert, wie leicht der Mann war. Ausgezehrt … Dann flogen sie gemeinsam durch die Nacht, am Fluss entlang.
„Wir sind zu dicht an der Grenze“, wisperte Misham irgendwann unbehaglich.
„Keine Sorge, Junge, wir sind bald da. Die Silberfalken sind keine Gefahr für uns.“ Doch auch Niyam flüsterte, denn sie waren wahrhaftig dicht am Territorium des Clans, mit dem sie nur einen wackeligen Waffenstillstand besaßen. Sie landeten vor einem alten Baum, einer schönen, mächtig gewachsenen Trauerweide.
„Das ist ein lebendiger Baum?“ Ehrfurchtsvoll strich Misham über die Borke des Stammes und lächelte, da er wohl die Gedanken der Weide spürte, die mit schlanken Zweigen über seinen Rücken strich.
„Loy … viele Loy saßen einst auf mir, suchten nach Feinden“, flüsterte der Baum, diesmal für Niyam hörbar.
„Geh jetzt nach Hause, Misham. Erzähle deine Geschichte, und erzähle sie überzeugend, womöglich wird sich für uns alle noch alles zum Guten wenden.“
„Niyam?“ Mühsam kämpfte Misham um Worte. „Es tut mir leid“, murmelte er schließlich.
„Was denn? Dass du herausgefunden hast, dass du keinen Spaß an kaltblütigem Mord und grausiger Folter findest? Ich bin dankbar dafür. Ich wünschte, dein Vater hätte dich nicht mit seinem Hass und seiner Trauer soweit getrieben.“
„Mein Vater?“ Verwirrt kniff Misham die Augen zusammen, dann lachte er bitter auf. „Versuch nicht, Ausreden für mich zu erfinden, bitte! Ich bin erwachsen, Niyam, in jeder denkbaren Hinsicht. Zugegeben, vielleicht bin ich noch nicht ganz so erwachsen, wie ich es mir selbst einrede, aber für das hier“, er wies auf Eivens leblose Gestalt, „bin ich verantwortlich, ich allein. Mein Vater hat mich sicherlich beeinflusst, doch es war meine Entscheidung. Er hat mir nicht befohlen, über Eiven herzufallen, im Gegenteil, er sagte stets: Lass die Finger von dem Bastard .“
Schweigend legte Niyam ihm die Hand auf die Schulter, drückte ihn kurz. Schließlich wandte er sich ab und flog mit Eiven in die Baumkrone hinauf.
Die Weide streichelte über die Körper der beiden Loy, begeistert davon, sie bei sich zu wissen. „Ich kenne dich, du warst bereits früher bei mir“, wisperte sie Niyam raschelnd zu. Es gab nicht viele Bäume, die zu eigenem Leben erwachten, denn dafür mussten Loy über etliche Jahre mit dem Baum sprechen – etwas, wozu nur selten die Zeit und Geduld aufgebracht werden konnten. Diese Weide stand günstig, wann immer eine Fehde gegen die Silberfalken geführt wurde, saßen hier Krieger auf Beobachtungsposten. In der Stille unzähliger Nächte war der Baum erwacht und hatte gelernt, in der Sprache der Loy zu wispern und diese Wesen zu lieben. Bäume waren nicht zu wahrhaftigen Gefühlen fähig. Wenn so etwas wie eine Seele in ihnen erwachten, eigneten sie sich eine begrenzte Persönlichkeit an. Diese Weide war von heiterer, fürsorglicher Wesensart. Zorn, Angst oder Feindseligkeit gab es in ihrer Welt hingegen nicht. Es gab andere, die furchtsam waren und sich Tag und Nacht Gedanken machten, ob sie genug Wasser und Sonnenlicht bekamen. Sie empfanden Loy eher als Bedrohung und wollten am allein gelassen werden. Andere waren schwatzhaft und liebten Gesellschaft. Bösartige Bäume kannte Niyam nicht, auch wenn man sich Legenden über sie erzählte – wie wohl in jeder Kultur, wie
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