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ROD - Die Autobiografie

ROD - Die Autobiografie

Titel: ROD - Die Autobiografie
Autoren: Rod Stewart
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einzigen Bleistift bewaffnet gewesen, ja eigentlich nicht einmal das, sondern bloß mit einem Bleistiftstummel, der in der Brusttasche meines Blazers steckte. Mehr brauchte ich anscheinend nicht.
    Ich war halbwegs fleißig – und im Großen und Ganzen auch glücklich. Auf jeden Fall wollte ich in der Schule nicht fehlen – ich hatte Angst, nicht mehr mitzukommen. Viel geschwänzt habe ich daher nicht und war auch kein großer Unruhestifter. Bei Prügeleien stand ich meist nur daneben und sah zu. Zwar gewann ich leicht Freunde, gehörte aber nicht zu den Kindern, die auf dem Spielplatz im Mittelpunkt standen und mühelos alle Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Und als einen, der die anderen unterhielt, sah ich mich absolut nicht. Dieses Selbstvertrauen entwickelte ich erst in den verschiedenen Bands. Im Malen war ich nicht schlecht – allerdings ergab eine Routineuntersuchung, dass ich farbenblind bin. (Ich kann Braun-, Blau- und Violetttöne nicht gut unterscheiden.) In den meisten Fächern kam ich zurecht, und in Sport war ich sogar ziemlich gut: Ich war Kapitän des Cricket-Teams und der Fußballmannschaft. Es gab nur eine Sache, mit der ich Probleme hatte, und das war verrückterweise der Musikunterricht bei Mr. Wainwright.
    Wenn ich vor der Klasse aufstehen musste, war ich immer wie gelähmt. In Mr. Wainwrights Musikraum entdeckte ich nun, wovor ich noch mehr Angst hatte: vor der Klasse aufzustehen und zu singen. Dabei war nicht Schüchternheit mein Problem: Ich fürchtete mich vielmehr davor, lächerlich gemacht zu werden. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber ich könnte schwören, dass Mr. Wainwright es auf mich abgesehen hatte: Er ließ mich aufstehen, um mit ihm vorne am Klavier ein paar Zeilen irgendeines Liedes zu singen, und ich bebte und zitterte und versuchte kläglich, die Töne zu treffen. So erbärmlich habe ich mich niemals sonst gefühlt – unter keinen Umständen.
    Deshalb entwickelte ich den Trick mit dem »Erbrochenen«.
    Dazu benötigt man: ein leeres Gefäß von Shipham’s Fleischpastete, etwas Kartoffelbrei (vom Teller mit dem Schulessen heruntergekratzt), etwas Möhre (ebenfalls vom Schulessen) und ein wenig Wasser. Anleitung: Am Tisch in der Schulmensa fülle man den Kartoffelbrei, die Möhren und das Wasser in das Gefäß, verrühre das Ganze gut mit einem Messer oder einem anderen Utensil, das gerade zur Hand ist. Dann ziehe man sich mit dem Gefäß auf den Schulspielplatz zurück und schleudere den entstandenen Brei bevorzugt in einem ruhigen, unbeobachteten Moment auf den Asphalt. Danach rufe man den Aufsichtslehrer mit einem »Sir, ich habe erbrochen« (oder so ähnlich) herbei und zeige auf den bespritzten Boden. Und buchstäblich im Handumdrehen hat man keinen Musikunterricht mehr, sondern befindet sich auf dem Heimweg. Oder, wie in meinem Fall, unterwegs ins Kino.
    Man kann also durchaus sagen, dass ich damals noch nicht mit dem Musikvirus infiziert war. Don hatte mich 1954 zu einem Konzert von Bill Haley and His Comets im Gaumont State Cinema in der Kilburn High Road mitgenommen. Don mochte Bill Haley und konnte »Everybody Razzle Dazzle« wahrscheinlich besser singen als Haley selbst. (Meine Familie erinnert mich gerne daran, dass eigentlich Don der Sänger von uns beiden ist.) Ich weiß noch, wie ich mit ihm auf dem Balkon stand und auf die wogende Masse Jive tanzender, tobender Teddy Boys in den Sperrsitzen hinuntersah und auf Haley und seine Band, die dieses Chaos hervorriefen. Der Rhythmus, die leuchtenden Karojacken und die Reaktionen des Publikums – das alles berührte mich, und vielleicht wurde da die Saat gelegt. Zum großen Fan wurde ich dadurch trotzdem nicht.
    Zu einer kleinen Auftrittsfieberinfektion kam es jedoch, als Dad mir zum fünfzehnten Geburtstag eine Gitarre schenkte – und damit erst einmal all meine Hoffnungen zunichtemachte: Eigentlich hatte ich mir nämlich eine Tri-ang-Modelleisenbahn aus Holz gewünscht. (Der Blick aus unseren Fenstern auf den Highgate-Verschiebebahnhof und die Gleise dahinter, auf denen Züge mit Dampfloks von Euston bis zum Bahnhof Alexandra Palace fuhren, hatte schon früh mein Interesse an Modelleisenbahnen geweckt, ein Hobby, das ich auch heute noch pflege – zur völlig unnötigen Überraschung mancher Leute.)
    Wer weiß, warum mein Vater fand, eine Gitarre sei ein gutes Geschenk für mich. Vielleicht war sie vom Lastwagen gefallen, oder er hatte sie günstig bekommen. Jedenfalls schluckte ich meine Enttäuschung
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