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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester
Autoren: Hammesfahr Petra
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doch schon sechs Tabletten genommen, getrunken hast du auch. Ich kann das nicht verantworten. Versuch doch einmal mir zuliebe, ohne dieses verfluchte Zeug auszukommen. Ich bin sicher, du schaffst es.»
    Er massierte mir den Nacken, die Schultermuskulatur und die Kopfhaut. Solange er massierte, war es erträglich. Als er aufhörte, kamen die Schmerzen in unverminderter Stärke zurück.

    «Was hast du in Frankfurt gemacht?», fragte ich. Robert lächelte. Es war kein fröhliches Lächeln, weiß Gott nicht.

    «Wir reden darüber, wenn es dir besser geht», sagte er. Aber es ging mir vorerst nicht besser. Auch in der Nacht zum Donnerstag lag ich wach in meinem Bett und hatte nur ein Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. Jedes Geräusch im Haus klang wie durch eine überdimensionale Lautsprecheranlage verstärkt in meinen Ohren. Im Zimmer nebenan unterhielten sich Robert und Isabell länger als eine Stunde. Sie sprachen leise, Einzelheiten konnte ich kaum verstehen. Ich hörte nur zweimal meinen Namen und mehrfach den Namen Jonas. Also ging es wieder einmal um mich und mein gespanntes Verhältnis zu Isabells Bruder. Ich hatte es ja – weiß Gott – nicht nur mit ihr allein zu tun. Wir lebten seit sechs Wochen zu viert im Haus. Zwei Geschwisterpaare, Robert und ich, Isabell und Jonas Torhöven, ein Ehepaar und zwei Krüppel. Jonas Torhöven hatte es noch schlimmer getroffen als mich. Ich konnte mich wenigstens bewegen und hingehen, wohin ich wollte. Ich konnte mich in meinen Wagen setzen und davonfahren, wenn ich mir wieder einmal selbst zu viel oder im Weg war und mein Wagen nicht gerade literweise Motoröl verlor. Jonas konnte nichts von alldem. Er saß im Rollstuhl. Ein Hüne – seine Körpergröße konnte ich nur schätzen, es mochten knapp zwei Meter sein. Von der Hüfte abwärts war er gelähmt. Seine Behinderung war wie meine Folge eines Autounfalls. Aber er konnte sich nicht abfinden mit seinem Zustand. Er verbrachte den Tag mit allen möglichen Trimmgeräten, Hanteln, Expander und was weiß ich für Kram. Und die halbe Nacht schaute er sich Pornofilme an. Er nannte es

    «in Erinnerung schwelgen»
    . Nun ja, er war erst einunddreißig und durchaus attraktiv, Schultern wie ein Ringer, muskulöse Arme. Dunkelhaarig wie Robert war er, hatte ein markantes Gesicht, das er zur Hälfte unter einem sauber gestutzten schwarzen Vollbart verbarg. Schmale Lippen, unruhige Augen. Er hatte etwas Lauerndes im Blick, etwas Verschlagenes, Bösartiges. Warum soll ich einen Hehl daraus machen? Ich mochte ihn nicht. Ich mochte ihn ebenso wenig wie seine kleine Schwester. Für mich waren sie Eindringlinge und Zerstörer. Bevor Isabell aufgetaucht war, hatten Robert und ich zufrieden und glücklich miteinander gelebt. Und dann brachte sie uns auch noch diesen Koloss ins Haus. Zu Anfang tat er mir Leid. Ich war nicht vom ersten Moment an gegen Jonas Torhöven eingestellt, wirklich nicht. Ich wusste schließlich aus eigener Erfahrung, wie das war, wenn einem plötzlich das Leben aus allen Fugen gerät. Als wir die Nachricht von seinem Unglück erhielten, plädierte ich sogar dafür, ihn bei uns aufzunehmen. Ich dachte, dass er ein wenig Einfluss auf Isabell nähme, ihr ins Gewissen redete und sie davon abhielt, Freunde zu besuchen, die wir nie zu Gesicht bekamen. Ein tragischer Irrtum, abgesehen vom letzten. Mit Freunde besuchen war Schluss, nachdem Jonas ins Haus gekommen war. Ansonsten muss er sich rasch entschlossen haben, gemeinsame Sache mit seiner Schwester zu machen. Aber so war es wohl immer, wenn es um Geld ging. Und wenn es um sehr viel Geld ging, vergaßen manche Leute alle Skrupel und setzten sich über alles hinweg, sogar über das Leben eines Mannes, der niemals einem Menschen etwas zuleide getan hatte, der stets bemüht war, es für alle erträglich und leichter zu machen. Robert wollte mir auch am Donnerstag keine Cliradon geben. Er verließ das Haus sehr früh und kam über Mittag nicht heim. Den gesamten Vormittag wartete ich auf ihn. Zweimal kam Isabell in mein Zimmer und erkundigte sich in geheuchelter Anteilnahme, ob sie etwas für mich tun könne. Beim ersten Mal erbot sie sich, nach den Cliradon- Kapseln zu suchen. Beim zweiten Mal wollte sie mir irgendein homöopathisches Mittel schmackhaft machen, mit dem sie angeblich früher einmal sehr gute Erfahrungen gemacht hatte. Sie wäre sogar bereit gewesen, rasch für mich in die Stadt zu fahren, um es zu besorgen.

    «Bemüh dich nicht», sagte ich.
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