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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester
Autoren: Hammesfahr Petra
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machte, ob er tatsächlich so blind sein konnte, das üble Spiel nicht zu durchschauen, das mit ihm und mir getrieben wurde, und ob das Buch vielleicht der Beginn des letzten Aktes war. Vielleicht hoffte Isabell, dass Robert einen Blick hineinwarf und begriff, dass sich ihre Ansicht mit der Meinung einiger Fachleute deckte. Vielleicht hatte er schon hineingeschaut und wollte in Frankfurt einen Psychiater konsultieren. Ich hatte sein Gesicht vor Augen, diese Abgespanntheit, den Hauch von Resignation, der seine Mundwinkel nach unten zog. Mir kam unwillkürlich ein Vergleich in den Sinn: Ein Mensch, der zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird. Ein Mann zwischen zwei Frauen, Robert zwischen Isabell und mir. Ich hätte ihm so gerne geholfen. Aber ich hatte immer nur einen Vorschlag für ihn.

    «Wirf sie endlich hinaus!»
    Und Robert hätte es nicht einmal übers Herz gebracht, einen Straßenköter vor die Tür zu setzen. Selbst wenn dieser Köter unentwegt nach ihm schnappte, hätte er noch nach einer humanen Lösung gesucht. Er war viel zu gutmütig und sensibel. Erst gegen sechs Uhr früh am Mittwochmorgen schlief ich ein und erwachte einige Stunden später mit rasenden Kopfschmerzen. Mein gesamter Schädel schien mit glühendem Blei gefüllt. Ich konnte nicht atmen und nicht denken, aber natürlich tat ich es trotzdem. Und jeder Atemzug rührte das flüssige Blei um, jeder Gedanke drehte sich nur noch darum, dass ich tot sein wollte, erlöst von der Angst und der Qual. Seit einem Autounfall vor zehn Jahren überfallen mich in unregelmäßigen Abständen diese furchtbaren Schmerzattacken. In den ersten beiden Jahren nach dem Unfall verging kaum eine Woche ohne Schmerz. Da hieß es noch, es sei die Folge einer Gehirnquetschung, die ich bei dem Unfall erlitten hatte. Ich bekam damals Cliradon verordnet, ein Medikament, das nur bei schwersten Schmerzzuständen – zum Beispiel bei Krebs – verabreicht wird. Es enthält Morphin und macht süchtig. Schon nach kurzer Zeit war ich abhängig. Es folgte ein langer Klinikaufenthalt und anschließend eine Therapie. Es war eine grässliche Zeit, vor allem weil es dann plötzlich hieß, es gäbe keine organische Ursache. Schädelverletzung hin, Gehirnquetschung her, der Grund für meine Schmerzen läge im seelischen Bereich. Ich weiß gar nicht, bei wie vielen Ärzten ich seitdem war. Der eine verordnete dies, der andere das. Mein Kopf muss der Pharma-Industrie zu beträchtlichen Umsätzen verholfen haben. Ich schluckte die gesamte Palette der zur Verfügung stehenden Mittelchen hinauf und wieder hinunter. Manchmal kam ich mir vor wie ein Versuchskaninchen. Und nichts half. Seit ein paar Monaten bekam ich wieder Cliradon verordnet. Nur händigte man nicht mir das Rezept aus. Robert musste es abholen und sich dafür verbürgen, dass ich nur in äußersten Notfällen eine Kapsel einnahm. Es war ein Notfall, und Robert war nicht da. Als ich aufwachte, war er längst auf dem Weg nach Frankfurt, vermutlich schon angekommen, und ich wusste nicht, warum. Den ganzen Mittwoch versuchte ich, mir selbst zu helfen, so gut es eben ging. Zuerst suchte ich in Roberts Arbeitszimmer nach den Cliradon-Kapseln. Statt meinem Medikamentenglas fand ich einige Hinweise über seine Termine. Einer Eintragung entnahm ich, dass er sich in Frankfurt mit einem Makler treffen wollte. Nur dachte ich dabei nicht an Immobilien. Ich dachte eigentlich überhaupt nicht, es ging mir viel zu schlecht. Und Frankfurt, das war die Börse, es konnte sich nur um einen Finanzmakler handeln. Es war auch ein Name vermerkt. Allerdings konnte ich der kurzen Notiz nicht entnehmen, ob es sich um den Namen des Maklers oder um einen zweiten Termin handelte. In Roberts Schlafzimmer oder seinem Bad mochte ich nicht suchen. Isabell hätte nur wieder behauptet, ich wolle in ihren persönlichen Sachen schnüffeln. Stattdessen ließ ich mir von Frau Schür Unmengen von Kaffee aufbrühen. Ich trank ihn mit Salz, Zitronensaft, einer halben Flasche Wodka und sechs Aspirin, über den Tag verteilt, ohne auch nur den Hauch einer Linderung zu spüren. Ich spürte auch nichts von dem Wodka, absolut nichts. Er trank sich wie Wasser, so schmeckte er auch. Frau Schür meinte, es müsse etwas mit meinen Geschmacksnerven nicht in Ordnung sein. Sie probierte einen Schluck, und ihr brannte es in der Kehle. Als Robert am späten Mittwochabend endlich heimkam, wollte er mir keine Cliradon mehr geben.

    «Sei vernünftig, Mia», sagte er.

    «Du hast
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