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Ritus

Ritus

Titel: Ritus
Autoren: Markus Heitz
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Messieurs! Es gibt keinen Grund, mir zu drohen.«
    Pierre deutete schnell eine Verbeugung an, schwenkte mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck die Mündung seiner Waffe zur Seite und stellte sich vor. Sie nannte daraufhin ihren Namen: »Ich bin Äbtissin Gregoria vom Kloster des heiligen Gregorius von Tours.«
    »Kein Räuber, aber ein Seelenfänger.« Jean betrachtete die schlanke Nonne verächtlich. »Seid Ihr nicht ein wenig weit von Eurem Kloster entfernt? Das Vivarais ist derzeit keine Gegend für Unbewaffnete.«
    »Ich besitze Beistand, der besser als jede Muskete ist. Der Herr ist mein Hirte, er beschützt mich auf meinen Wegen«, gab sie lächelnd zurück – und erschrak, als sie an dem Jäger vorbei auf die Kreatur am Boden blickte. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie bekreuzigte sich.
    »Ja, schaut nur. Der Teufel sendet neue Wölfe, um die Schafe des Herrn zu verschlingen«, sagte Jean. »Meint Ihr, dass Gott Euch vor den Zähnen dieses hungrigen Tiers bewahrt hätte?«
    Pierre räusperte sich. »Verzeiht meinem Vater seine Worte und habt keine Furcht, ehrwürdige Äbtissin. Dieser Wolf tut Euch nichts mehr.«
    »Weil wir ihn gefangen haben. Nicht Gott«, fügte Jean hinzu.
    »Aber mit Gottes Hilfe, guter Mann.« Gregoria trat zur Verwunderung der beiden Männer näher an den Kadaver heran, besah ihn von allen Seiten, bekreuzigte sich erneut und küsste das Kreuz des silbernen, sehr aufwändig gearbeiteten Rosenkranzes, der um ihren Hals über der Ordenstracht hing. »Ein seltsames Tier«, meinte sie dann leise. »Es ist gut, dass Ihr es gefangen habt. Es hat viel Leid über die Menschen in der Umgebung gebracht, wie ich hörte.«
    »Wie manche Priester.« Jean kümmerte sich nicht weiter um die Äbtissin, die in ihrem schwarzen Habit wie ein Fremdkörper in dem grünen, lebendigen Wald wirkte. Er fand es zwar merkwürdig, dass sie sich so weit von den Mauern ihres Klosters entfernt hatte, um nach Kräutern und Erdbeeren zu suchen – aber er hatte Wichtigeres zu tun.
    »Was auch immer man Euch angetan hat, ich war es nicht. Es gibt keinen Grund, mich feindselig zu behandeln.«
    Jean wollte etwas darauf erwidern, aber Gregoria sprach einfach weiter. »Ich werde Euch nicht weiter mit meiner Anwesenheit belästigen. Da Ihr Euch offensichtlich von Gott und seiner heiligen Kirche abgewandt habt, werde ich für Euer Seelenheil beten, auf dass Ihr auf den Pfad des Herrn zurückkehrt.«
    »Gut bemerkt! Ich habe nichts mit der Kirche und Gott zu schaffen. Um mein Seelenheil kümmere ich mich selbst und überlasse es keinesfalls scheinheiligen Priestern und gierigen Pfaffen!« Auch wenn das kleine Benediktinerinnen-Kloster bei den einfachen Menschen einen guten Ruf hatte und sich, wie man hörte, um Arme und Verwirrte kümmerte, gab es für ihn keinen Grund, die Äbtissin anders als alle anderen Klerikalen zu behandeln. Ihre überhebliche und selbstgefällige Art verärgerte ihn.
    Sie lächelte Pierre freundlich an, der sich wiederum verbeugte. »Der Segen des Herrn sei allezeit mit Euch. Gebt dennoch gut auf Euch Acht, junger Mann, damit die Wölfe Euch nicht holen. Solltet Ihr beten wollen, die Kapelle von Saint Grégoire steht Euch jederzeit offen.« Sie nickte ihm zu und ging. »Guten Tag, Messieurs.«
    »Zum Teufel mit den Nonnen«, fluchte Jean leise und wandte sich dem Kadaver zu. »Zum Teufel mit dem ganzen Pfaffenpack.«
    »Mutter würde nicht wollen, dass …«, begann Pierre vorsichtig, sah aber an der abweisenden Haltung des Vaters, dass er nicht weitersprechen musste. Seit dem Tod der Mutter gab sein Vater nichts mehr auf die Gnade Gottes, der seiner Ansicht nach nur diejenigen beschützte, die genügend Geld besaßen, um sich das Wohlwollen im Opferstock der Kirche zu erkaufen.
    Er wollte gerade zu seinem Vater gehen, als er glaubte, aus den Augenwinkeln einen gedrungenen Schatten zwischen den Stämmen gesehen zu haben.
    »Da ist etwas!« Er sandte ein stilles Gebet an Gott, dass er sie, Antoine und die Äbtissin vor dem beschützen möge, was da unter den Buchen umher streifte.
    »Es wird Surtout sein«, meinte sein Vater.
    Die Angst packte Pierre erneut. »Und wenn diese Bestie, die wir gefangen haben, nicht allein war?«, flüsterte er.
    »Töten wir die andere auch noch«, gab Jean zurück und legte die Muskete an. Pierre folgte seinem Beispiel. »Vergiss nicht, dass Antoine irgendwo …«
    Ein breiter Schatten flog aus dem Gebüsch zu ihrer Linken. Er brüllte laut und warf sich gegen
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