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Ritualmord

Titel: Ritualmord
Autoren: Mo Hayder
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Unterstützungseinheit würde gleich eintreffen.
    »Fertig?«, flüsterte Caffery.
    Sie nickte und erinnerte sich an eine Taktik, die sie einmal trainiert hatte: den »Zugriff auf Geistesgestörte«. Dazu waren mindestens drei Beamte mit Schilden nötig, nicht nur sie und Caffery, die sich eine Einzelausrüstung teilten. Der Himmel allein wusste, was passieren würde, aber sie zog den Schlagstock trotzdem auseinander, ließ ihn hochschnellen und legte ihn auf die Schulter. »Okay«, brummte sie. »Treten Sie zu.«
    Er lächelte sie ironisch von der Seite an, hob den Fuß und trat gegen die Tür. Sie flog auf, und beide stürmten hinein, Caffery als Erster, Flea zu dicht hinter ihm: Sie stolperte und fing sich wieder, indem sie ihm eine Hand auf den Arm legte. Sie fand ihr Gleichwicht und ging in Combatstellung: Schwerpunkt nach unten, Knie locker, seitwärts gewandt, die linke Hand vor dem Gesicht.
    Und dann passierte gar nichts. Stille. Sie blinzelten ein wenig, und ihre Gesichter wirkten gelb in dem trüben Licht, das durch das Gitter hereinfiel. Es sah anders aus als jedes Badezimmer, das sie je gesehen hatten. Ein Andreaskreuz war in solider Handwerksarbeit über der Badewanne an die gesprungenen Fliesen geschweißt worden, und dort, wo die Toilette gewesen war, stand ein pulverbeschichteter Käfig aus galvanisiertem Stahl, so groß, dass ein Mann von normaler Größe hineingehen, aber nicht aufrecht stehen konnte. Davon abgesehen war das Badezimmer leer. Keine Verstecke, keine Ausgänge. Durch das winzige Fenster konnte niemand entkommen.
    »Scheiße.« Müde ließ Caffery das Messer sinken. »Diese verlogenen kleinen Scheißer.«  

    »Hören Sie.« Flea nahm ihn beim Arm und wandte sich zu dem verrammelten Fenster im Korridor um. Wenn der schmächtige Typ versuchte, da hinauszuklettern, würden sie ihn sehen, und wenn er versucht hatte, durch die Apartments zurückzulaufen, würde er von den draußen anrollenden Einsatzkommandos aufgegriffen. Aber Tig, der konnte überall sein. »Ich glaube, er ist noch hier drin«, sagte sie. »Aus dem Zimmer führt eine andere Tür zurück in die Mitte der Wohnung. Wir gehen wieder rein, und wenn sie noch da sind, übernehme ich den Schwarzen, 'kay?«
    Er drehte sich zu ihr um, und für einen Sekundenbruchteil waren ihre Gesichter einander so nah, dass sie die Poren seiner Haut sehen konnte. »Okay«, sagte er. »Ja, okay.«
    »Gut.« Sie hob einen Finger. »Ich zähle bis fünf, und dann los. Ja?«
    »Ja.«
    »Eins. Zwei. Drei. Vier...«
    Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie wurde still. Sehr still. Ein Wassertropfen war auf Cafferys Schulter gelandet, ein makelloser, klarer, tränenförmiger Tropfen auf seinem weißen Hemd - und einen Moment lang konnte sie ihn nur anstarren, während der Tropfen herunterlief und sich auf seiner Brust ausbreitete. Er sah ihn auch, und dann hob er den Kopf und schaute ihr in die Augen. Beide schwiegen, denn schon bevor sie den Blick nach oben richteten, wussten sie, was sie sehen würden.
    Er war über ihnen, hing an D-Ringen, die in die Decke eingelassen waren, mit ausgebreiteten Armen und Beinen. Schwitzend und zitternd vor Anstrengung hielt er sich fest. Er trug nur eine schwarze Combathose, und sein Oberkörper glänzte von Schweiß und Blut. Sein Mund stand offen, die Zähne waren entblößt, und das Blut, das sich in seinem Versehrten weißen Auge sammelte, ließ es aus der Höhle quellen. Ein Racheengel.  

    Flea spürte, wie ein Geräusch aus ihrer Kehle drang, und eine Stimme schrie in ihrem Kopf: Du hast dich nicht an dein Training gehalten, du Vollidiot , und dann hatte sie noch Zeit zu denken: Der Dreihundertsechzig-Grad-Schwenk umfasst auch die Decke. Dann ließ Tig sich wie ein Falke mit ausgestreckten Klauen von der Decke fallen und landete mit übelkeiterregendem Krachen auf Cafferys Schultern. Das Messer und das CS-Gas rollten auf dem Boden davon, und die beiden Männer kippten rückwärts auf die Fliesen, prallten gegen die Badewannenverkleidung und landeten auf der Seite an der Wand, einander zugewandt wie zwei Liebende. Ihre Hände krallten sich in Gesichter, Ohren, Haare.
    Sie riss die Handschellen aus der vorderen Tasche ihrer Weste, warf sich neben den Männern auf den Boden und versuchte, den Schlagstock zwischen sie zu schieben, aber sie bekam Tigs Hände nicht zu fassen.
    »Drehen Sie ihn um!«, schrie sie Caffery zu. »Werfen Sie das Schwein herum, damit ich ihm die Handschellen anlegen kann.«
    »Vorher
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