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Riedripp: Kriminalroman (German Edition)

Riedripp: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michael Boenke
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dem surrealen Arrangement am Scheunentorpfosten versammelt.
    »Das war ich nicht. Was ist denn das, das sieht ja aus wie eine Nase.«
    Tobi deutete auf die rechte Ecke des Dreiecks. Der Bauer zog am Nagel des gefalteten fleischkäseartigen Objektes, das die Spitze des Dreiecks bildete, und zog das Aufgespießte mit Kraft vom Nagel. In seiner Hand entfaltete sich ein Ohr. Es war zweifelsohne ein menschliches.
    »Scheiße«, hauchte der Bauer entsetzt.
    Seine mollige Frau fasste ihn fest am Oberarm, Tobi stand bleich neben mir. Der Bauer zog die Hand wie elektrisiert zurück. Das Ohr fiel auf den Boden.
    »Das ist von keinem Tier …«
    »Wir müssen die Polizei rufen.«
    »Das andere sieht nicht nur aus wie eine menschliche Nase, das ist bestimmt eine.«
    »Das daneben, was da noch hängt, das runde wurmartige, was ist das?«
    Mittlerweile hatte ich mein altes, blaues Handy gezückt, das beinahe die Größe einer Telefonzelle besaß und noch mit dem Atavismus einer schwarzen Stummelantenne ausgerüstet war, und informierte die Polizei in Bad Saulgau vom Gehänge am Scheunentor. Sie versprachen mir, sofort jemanden zu schicken.
    Das Ohr hatte ich mit zwei herumliegenden kurzen Stecken in der Art des Aufstocherns chinesischer Speisen auf ein Papiertaschentuch gelegt. Bis zum Eintreffen der Beamten betrachtete ich das makabre Dreieck mit dem bräunlichen Auge in der Mitte. Ich zog meine neue Spiegelreflex-Digitalkamera aus dem Rucksack. Zehn Millionen Pixel, tolles lichtstarkes Zoom und alles herrlich kompakt gebaut. Bald hatte ich all das abgelichtet, was ich von Interesse fand. Um nachzudenken, lief ich um das Fränkelsche Anwesen und fotografierte, bis der Akku im Haltegriff der Kamera eine wohlige Wärme ausstrahlte.
    Ganz weit vorn in meinem bedauernswerten Gehirn, wo die assoziativen Prozesse gesteuert wurden, dämmerte im riedigen Nebel des Frontallappens eine Idee. Ich erschrak.
    Der Vorhang des Küchenfensters, von dem aus ein altes runzliges Gesicht mit wachen, wasserblauen Augen das Geschehen auf dem Hof aufmerksam beobachtet hatte, wurde mit gichtigen Fingern sorgfältig wieder zurückgezogen.

4 Witwensitz
    Der erste Brief an Timotheus
    5:4 Hat eine Witwe aber Kinder oder Enkel, dann sollen diese lernen, zuerst selbst ihren Angehörigen Ehrfurcht zu erweisen und dankbar für ihre Mutter oder Großmutter zu sorgen; denn das gefällt Gott.
    5:5 Eine Frau aber, die wirklich eine Witwe ist und allein steht, setzt ihre Hoffnung auf Gott und betet beharrlich und inständig bei Tag und Nacht.
    5:6 Wenn eine jedoch ein ausschweifendes Leben führt, ist sie schon bei Lebzeiten tot.
    5:7 Das sollst du ihnen einprägen; dann wird man ihnen nichts vorwerfen können.
    5:8 Wer aber für seine Verwandten, besonders für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt, der verleugnet damit den Glauben und ist schlimmer als ein Ungläubiger.
     
    »Eigentlich hätte ich mir das ja denken können.«
    Provokativ legte die blonde Kommissarin ihr hübsches Köpfchen in den Nacken.
    »Herr Bönle, Daniel Bönle.«
    »Freut mich aufrichtig, dass Sie meinen Namen noch kennen, Frau Dings … ähm Frau Hauptkommissarin.«
    »Kommissarin reicht.«
    Mittlerweile hatte sie einen grauen Minicomputer und einen winzigen Plastikstift aus der Brusttasche ihres dunkelblauen Blazers gezogen, der sehr gut zu ihrer blau-weiß längs gestreiften Bluse passte. Die obersten Knöpfe waren nicht geschlossen. Meine Augen blieben eine Millisekunde zu lang an ihrer Bluse und ihrem geschätzten Inhalt hängen. Mit schlanken Fingern zupfte die fesche Beamtin ihren Blazer enger zusammen. Ohne sichtlichen Erfolg.
    »Längsstreifen machen schlank«, bemerkte ich.
    Sie funkelte mich an:
    »Herr Bönle, ich nehme mit Erschrecken zur Kenntnis, dass Sie noch genauso infantil sind wie im vorherigen Jahr. Und zu neuen Stiefeln hat es wohl immer noch nicht gereicht.«
    Das saß.
    Ihr uniformierter Begleiter grinste dümmlich in meine Richtung.
    »Wollen Sie nicht zum Wesentlichen kommen?«, forderte ich die schlanke Schöne mit ihrem elektronischen Notizblock auf.
    Ich führte die Kommissarin zum Scheunentor. Bauer, Sohn und Bäuerin trotteten in hierarchischer Formation hinterher.
    »Wer hat das Ohr vom Nagel entfernt?«
    Umständlich, mit ausladenden Gesten und dramatischer Mimik erklärte Bauer Fränkel der Wohlgeformten, wie und was er schon in der Frühe entdeckt und wofür er es gehalten hatte. Und ohne seine Lesebrille hätte er sowieso nicht genau erkennen können
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