Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richter

Richter

Titel: Richter
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
Vom Netzwerk:
wohnt?«
    »Freilich, ’Cillenza, er hat ein Haus vor der Stadt.«
    »Andiamo.«
    »Welchem Umstand habe ich die Ehre zu verdanken?«
    Der alte Presidente Fallarino war ein hochgewachsener, dünner, ganz weißhaariger und streng wirkender Mann, der durchaus Eindruck machte. Er empfing Surra in seinem voller Bücher stehenden Arbeitszimmer.
    »An erster Stelle hielt ich einen Antrittsbesuch bei Euch für meine Pflicht.«
    »Und an zweiter Stelle?«
    Falls er dachte, er könnte Surra durch seine barsche Art aus dem Konzept bringen, so täuschte er sich. »Will ich Euch höflichst darum ersuchen, mir zu helfen.«
    »Ich Euch helfen? Ihr wisst doch aber, dass ich ...«
    »Signor Presidente«, unterbrach ihn der Richter entschlossen, »mir sind Eure politischen Überzeugungen wohlbekannt, und obgleich sie den meinen widersprechen, bewundere ich die Konsequenz Eures Handelns. Doch wir haben etwas gemein, das uns miteinander verbindet.«
    »Nämlich?«
    »Eine aufrichtige, respektvolle Liebe zur Gerechtigkeit.«
    »Ins Gericht kehre ich nicht zurück«, sagte Fallarino nach einer Pause.
    »Ich bitte Euch auch nicht darum«, sagte der Richter. »Doch die Gerechtigkeit wird von Menschen gewährleistet, und ich kenne die Menschen nicht, die beschlossen haben, mit mir den Dienst wiederaufzunehmen.«
    »Habt Ihr ihnen in der heutigen Besprechung gesagt, dass Ihr mich aufsuchen würdet?«
    Er wusste von der Besprechung!
    »Nein, das hielt ich nicht für geboten.«
    »Daran habt Ihr gut getan.«
    »Warum?«
    »Nicht alle hätten es gutgeheißen. Ihr wisst besser als ich, dass ein Gericht nur dann funktioniert, wenn alle Beteiligten einander respektieren. Hier hingegen haben – vor allem in jüngerer Zeit – Geringschätzung und Ellbogenmentalität geherrscht.«
    »Menschliche Schwächen.«
    »Ja, leider sind sie hier besonders ausgeprägt. Wie auch immer, Ihr werdet begreifen, dass ich Euch nicht helfen kann. Einige derer, mit denen Ihr Euch heute Morgen bespracht, waren meine schärfsten Ankläger. Meine Meinung über sie müsste unweigerlich parteiisch wirken. Ich bin Euch für Euer Vertrauen dankbar, aber meine Antwort lautet: Ich kann nicht.«
    »Dann sagt mir wenigstens einen einzigen Namen. Wer von den Männern wäre am deutlichsten gegen meinen Besuch bei Euch gewesen?«
    Kurz huschte über Fallarinos Gesicht der Anflug eines Lächelns.
    »Ihr seid sehr geschickt. Paoloantonio.«
    »Nun bitte ich Euch um einen letzten Gefallen, dann will ich nicht weiter stören. Würdet Ihr das hier lesen?«
    Er nahm den anonymen Brief aus der Tasche und reichte ihn Fallarino, der ihn las und ihn Surra zurückgab.
    »Was haltet Ihr davon?«
    »Ich wundere mich.«
    »Warum?«
    »Der anonyme Verfasser schildert den Hergang nicht präzise. Und das hat Euch zu einer irrigen Äußerung verleitet, als Ihr nämlich gestern Abend im Café Arnone von Don Nené verlangtet, er solle die widerrechtlich vorenthaltenen Akten herausgeben.«
    Der Richter war sprachlos. Wusste er auch das!
    »Und wie war der genaue Hergang?«
    »Don Nené Lonero hat einen unserer Richter höflich um die Unterlagen gebeten, und der Richter hat sie ihm ebenso höflich ausgehändigt.«
    »Aber das ist ein schweres Dienstvergehen!«, platzte Surra heraus. »Warum interessieren ihn diese Akten?«
    »Sie enthalten Verfahren wegen Mord, Erpressung und anderer schwerer Verbrechen. Die Ermittlungen hatte sämtlich ich angestrengt. Gegen herausragende Figuren der Bruderschaft, deren Oberhaupt Don Nené ist.«
    »Was für einer Bruderschaft?«, fragte der Richter.
    »Ganz offenbar kennt Ihr nicht den Bericht von Don Pietro Ulloa, Generalstaatsanwalt von Trapani, verfasst im Jahre 1838. Er ist höchst aufschlussreich. Und die Dinge haben sich seither nicht geändert.«
    Er stand auf, trat an ein Bücherregal und zog ein Buch heraus.
    »Ich schenke es Euch, ich habe ein weiteres Exemplar.«
    Er nahm nicht wieder Platz und bedeutete Surra auf diese Weise, dass der Besuch beendet war. Auch Surra erhob sich.
    »Ihr könnt Euch nicht weigern, mir den Namen dessen zu nennen, der Lonero die Akten gegeben hat. Das wäre Strafvereitelung.«
    »Einen Namen habe ich Euch genannt. Er mag Euch genügen«, lächelte Fallarino wieder und reichte ihm die Hand.

3.
    F allarino bestand darauf, Surra bis zur Kutsche zu begleiten.
    »Sucht mich auf, wann immer Ihr es wünscht«, sagte er und drückte ihm nochmals die Hand.
    »Danke, das nehme ich gerne an.«
    Dann, als die Kutsche gerade anrollen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher