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Richter

Richter

Titel: Richter
Autoren: Carlo Ciancarlo de u Lucarelli Andrea u Cataldo Cammilleri
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Pierfilibertos höhnischem Blick. Da begriff er, dass er verloren hatte. Wieder einmal. Und vielleicht auf immer. Ebenso war ihm klar, wie sie es angestellt hatten. Aber er würde es nie beweisen können. Sie hatten jemanden bestochen. Jemanden, der ihm den Schlüssel zu dem Schrank gestohlen und das Original der Verfügung gegen diesen Wisch hier ausgetauscht hatte. Doch wen? Bardolfo und Pistola berieten sich, offenbar ebenso überrascht und ratlos wie er. Wer war es? Eine Sekretärin? Ein junger Kollege? Wer? Wem konnte er noch vertrauen? Offensichtlich niemandem ... »Besser allein ...«
    »Das ist nicht der Augenblick für Sprüche, Dottore. Wir beantragen Vertagung. So billig lassen wir diesen Hurensohn nicht davonkommen.«
    Bardolfo starrte ihn aggressiv an. Die Richterin starrte ihn perplex an. Appella starrte ihn herausfordernd an. Alle starrten ihn an.
    Plötzlich erschien auf seinen Lippen ein leichtes Lächeln. Nein – ein Zucken. Sosehr er sich auch bemühte, es zurückzudrängen, es gelang ihm nicht. Er ergab sich. Es war nichts mehr zu machen. Er stand auf, wie in Trance, und begab sich zum Ausgang. Hinter ihm wurden Rufe laut, man forderte ihn auf zurückzukommen. Doch in seinen Ohren klang nur das höhnische Echo eines Hiphop-Songs. Eines Songs mit den Worten: »Lasst alle Hoffnung fahren ... Oh, yeah ... Lasst alle lasst alle ...«

EPILOG
    P apa! Papa! Wach auf! Was ist denn los?«
    »Ottavio, so wach doch auf! Ottavio ...«
    Schwaches rosa Licht drang durchs Fenster. Ottavio sah die Gestalten an seinem Bett nur verschwommen.
    »Es ist schon acht. Gleich kommen Bardolfo und Pistola. Hast du vergessen, was für ein Tag heute ist?«
    Also war all das tatsächlich – zu dem Schluss kam er, als er an dem Espresso nippte, den Lucio ihm gemacht hatte – ein Traum gewesen. Ein dreifacher sogar. Jetzt erst war der 18. März. Und wie es in der fetten Überschrift im Eco di Novere hieß: »Bürgermeister Pierfiliberto Berazzi-Perdicò wehrte sich gegen die x-te Provokation von Staatsanwalt Mandati.«
    Träume, aber lehrreiche. Denn nicht einmal im Traum darf man vom Gesetz abweichen. »Auf einen Gauner eineinhalb«, das ist Mist. Es gibt keine Abkürzungen. Lügen haben kurze Beine. Und jede Ablenkung, jedes Ungefähr fordert einen Preis.
    Lucio hatte die Zeitung gegriffen.
    »Sie schreiben ›Die Verteidigung hat einen strategischen Schachzug vorbereitet, um gegen diese abermalige juristische Machenschaft anzugehen‹.«
    »Lass sie reden. Das ist ihr Job.«
    »Du wirkst trotzdem irgendwie komisch.«
    »Ich liebe euch. Ich glaube, ihr wisst gar nicht, wie sehr!«
    »Papa, versprich mir eins.«
    »Was denn, Junge?«
    »Du versuchst es jetzt noch ein Mal, diesen Scheißkerl einzulochen. Und falls es dir nicht gelingen sollte ...«
    »Diesmal gibt es für ihn keinen Ausweg, Lucio, glaube mir.«
    »Falls im letzten Moment irgendwas passiert ...«
    »Wie in dem Traum ...«
    »Schon wieder diese Träume!«
    »Entschuldige. Sprich weiter.«
    »Versprich mir, dass es dann das letzte Mal war. Wenn du verlierst, gib zu, dass er stärker ist. Beantrage deine Versetzung. Wir gehen alle zusammen nach Rom. Und da leben wir normal weiter.«
    »Ich verspreche es dir.«
    Zum ersten Mal nach so vielen Jahren ließ Lucio sich umarmen. Ottavio hatte schon fast vergessen, wie wunderbar es war, seinen Sohn so zu spüren. Vor lauter Behagen und Rührung bekam er eine Gänsehaut. »Das ist kein leeres Versprechen, mein Junge. Aber erst mal warten wir jetzt das Finale ab, ja?«
    Bevor er zu Bardolfo und Pistola hinausging, die ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend in ihren zerknitterten Anzügen aus dem Supermarkt warteten, ging der Staatsanwalt in sein Büro und nahm einen hässlichen Druck von Hoppers Nighthawks von derWand. Darunter erschien der kleine Tresor, dessen Kombination er als Einziger kannte. Er strich mit den Fingern über die Klarsichthülle. Sie enthielt die zehn Seiten mit dem Antrag auf Abhören und Mitschnitte. Als er irgendwann begriffen hatte, wie weitreichend diese Ermittlung war, hatte er beschlossen, das Original bei sich zu behalten. Selbst wenn Pierfiliberto oder seine Leute sein Büro durchsucht und die halbe Welt bestochen haben sollten, selbst wenn sie zu den kühnsten Verfahrenstricks gegriffen oder die schamloseste Fälschung unternommen hätten, selbst dann hätten sie diese Klarsichthülle keinesfalls in die Finger gekriegt.

Anmerkungen
    Die Song-Zitate in der von Carlo Lucarelli
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