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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Autoren: Heinrich Steinfest
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vorbeiführen. Rituale und ihre strenge Einhaltung seien das Salz im Leben zweier Menschen. Unverzichtbar.
    Die Sache mit dem Café erläuterte Dr. Paul so gut wie jede Woche. Entweder, weil er immer wieder vergaß, wie oft er bereits darüber gesprochen hatte, oder wie um seinen Kollegen, Männern wie Frauen, ein Geheimnis zu offenbaren. Was aber die wenigsten begriffen. Vor allem Leute wie Jordan erkannten nicht, wie sehr Dr. Pauls mysteriöse Attraktivität davon lebte, sich an Vereinbarungen, die er mit seiner Frau traf, auch rigoros zu halten. Natürlich bestand darin nicht sein ganzer Reiz. Irgendeine verrückte kleine Teufelei mußte da schon noch im Spiel sein, vielleicht auch bloß die Art, mit der er seine Fingerkuppe eben nicht nur auf tote, sondern auch auf lebende Brustkörbe aufsetzte. Was weiß man schon? Und doch war Dr. Pauls unbedingte Verläßlichkeit in Sachen gemeinsames Frühstück so viel wert wie ein ebenmäßiges Gesicht, ein flotter Spruch, ein gut gefülltes Bankkonto oder ein flacher Bauch. Ja, eigentlich mehr. Denn über ein gut gefülltes Bankkonto verfügte Frau Paul schon selbst und brauchte es deshalb nicht anderswo zu suchen. Und was mit flachen Bäuchen passieren konnte, das war deutlich an diesem Toten zu sehen, der hier im Kreis irritierter Polizisten lag und im silbergrauen Licht des Tages an die delikat verrenkten Gestalten von Théodore Géricaults Genieschinken Floß der Medusa erinnerte.
    Dr. Paul schlug ganz leicht mit den Haken zusammen, was seiner rundlichen Gestalt weniger einen soldatischen, denn einen musikalischen Eindruck verlieh. Als stelle der ganze Dr. Paul nichts anderes als ein Triangel dar und somit ein selbstklingendes Schlaginstrument. Ein Musikwerkzeug, welches zwar selten zum Einsatz kam, aber dennoch immer wieder die allergrößte Aufmerksamkeit erlangte. So ein Triangel war den meisten nichts ganz geheuer. Man vermutete, daß mehr dahintersteckte, als zu sehen und hören war.
    Indem Dr. Paul also die rückwärtigen Innenseiten seiner Schuhe kurz aneinanderstieß – eher schlug der eine Schuh sanft gegen den anderen – ergab sich so etwas wie ein unhörbarer, aber wirksamer Triangelton, der noch eine Weile nachklang und sämtliche Umstehende in eine leichte Schwingung versetzte. Dann wünschte der Polizeiarzt einen schönen Vormittag und verließ den Tatort über eine Treppe, die auf die nächste Etage und von dort zur Liftanlage führte.
    Ein paar Minuten später tauchte einer der Froschmänner aus dem Bassin auf, in welchem das Blut an einen gerade erst beigefügten Badezusatz erinnerte, bewegte sich an den Bekkenrand und streckte seinen Arm aus. Lukastik, der sich soeben ein Paar lilafarbene Schutzhandschuhe übergezogen hatte, in denen seine Finger wie in zehn kleinen Badehauben steckten, griff nach dem Gegenstand, den ihm der Taucher entgegenhielt. Bei dem Objekt, das der Chefinspektor nun für alle sichtbar zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe hielt, handelte es sich allerdings nicht um den erwarteten Zahn, sondern um ein etwa zwei Zentimeter großes, fleischfarbenes und knorpelartiges Gebilde. Bei genauer Betrachtung war zu erkennen, daß an dem einen, etwas dickeren Ende sich die Linie einer winzigen, geschlossenen Klappe abzeichnete. Zudem war die Oberfläche an dieser Stelle von dünnen, roten Bahnen durchzogen, was den Eindruck einer stark geäderten Haut ergab. Noch weit schwerer wahrzunehmen war der transparente Faden, der ein paar Millimeter von der Gehäusefläche abstand. Die meisten der Anwesenden befanden sich jedoch viel zu weit weg, um diesen zu bemerken. Aus der Ferne konnte man das ganze Ding eher für den abgebrochenen Daumen einer kleinen Puppe halten oder schlichtweg für ein Stück Knetmasse. Allein eine Frau von der Spurensicherung führte ihr Gesicht nahe heran, stellte ihren Kopf ein wenig schräg und sagte schließlich: »Wenn unser Toter und diese Winzigkeit zusammengehören, dann hatte der Mann ein Problem mit seinen Ohren, zumindest mit einem davon. Das hier ist ein Hörgerät.«
    Lukastik blickte zweifelnd, weshalb die Frau erläuterte, es handle sich um eine Apparatur, die kaum sichtbar in den Bereich des äußeren Ohrs eingeführt werden könne. Der kleine Abschnitt, welcher nach außen gerichtet und für einen eventuellen Betrachter zu sehen sei, weise jene imitierten Blutgefäße auf. Hinter der Öffnung liege der Raum für die Batterie. Die kleine weiße Schnur stelle wiederum einen Zugfaden dar, mit
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