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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Autoren: Heinrich Steinfest
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sollen, das Schicksal einen jedoch hingeleitet hatte. Als schicke man einen Blinden über die Autobahn. Es existiert eine Fürsorge, die tödlich sein kann.
    Die Mehrzahl der Tauchgänge erwies sich freilich als ungefährlich. Einen solchen bewerkstelligten nun die beiden Polizisten, die in voller Montur ins Wasser des Pools glitten und die Leiche vorsichtig an den Beckenrand schoben, wo selbige von zwei Beamten der Spurensicherung nicht minder sorgsam herausgehoben und auf eine weiße Plane abgelegt wurde. Überhaupt war anzunehmen, daß dieser tote Mann nie in seinem Leben mit einer vergleichbaren Behutsamkeit angefaßt worden war (der Begriff »Zärtlichkeit« verbietet sich natürlich, und dennoch muß gesagt werden, daß die meisten Spurensicherer mit den aufgefundenen Leichen und Leichenteilen einen Umgang pflegen, der ein wenig an die leise Hingabe von Philatelisten erinnert).
    Während die beiden Taucher im von Blutschlieren aquarellartig verfremdeten Wasser untertauchten, um nach etwaigen Zähnen und anderen Beweisstücken zu suchen, bildeten die übrigen Anwesenden einen Kreis um den aufgebahrten Körper.
    »Ein Sportler«, sagte Dr. Paul und trat in das Innere des Kreises. Er ging neben der Leiche in die Knie und legte eine Fingerkuppe auf die Brust des Toten, wie um einen Schalter zu drücken und somit einen sinnlos gewordenen Stand-by-Betrieb außer Kraft zu setzen. Diese kleine Handlung vollzog er an einer jeden Leiche, ohne daß jemand hätte sagen können, ob sich dahinter auch ein medizinisch relevanter Akt verbarg. Jedenfalls unternahm er selten mehr. Auch jetzt erhob er sich gleich wieder und präzisierte: »Ein Sportler, aber kein ausgesprochener Schwimmer. Zumindest kein typischer. Auch keiner von diesen neumodischen  … Ironmen  … ich muß dabei immer an Ironie denken. Wobei ich finde, daß viel zu viele dieser Sportskanonen ins Ziel kommen. Das kann doch nicht ernsthaft der Sinn einer Konkurrenz sein. Überall herrscht Selektion. Und das zu Recht. Warum aber in Teufels Namen will ausgerechnet der Sport demokratisch sein. Wenn mehr als drei Leute ins Ziel kommen, verliert dieses Ziel jeden wirklichen Wert. Auch im philosophischen Sinn. Das Ziel zerfällt. Ich glaube  …«
    »Dr. Paul, bitte!« mahnte Jordan.
    »Sie sehen ja selbst«, sagte Dr. Paul ein wenig beleidigt, »der Mann ist nicht sonderlich groß. Vielleicht ein Ringer oder Gewichtheber. Kein aktiver mehr, aber dennoch voll austrainiert. Etwa in Ihrem Alter, Chefinspektor.«
    »Kann sein«, meinte Lukastik und betrachtete nicht ohne Neid die makellose Bauchmuskulatur des Toten, auf der freilich ebenfalls die Spuren eingedrungener Zahnreihen klafften. Dann sagte er: »Lassen Sie uns über die Todesursache sprechen. Ich meine das ernst. Gibt es eine Möglichkeit außerhalb jener, die uns ins Auge sticht?«
    »Die gibt es immer«, meinte Dr. Paul, »aber auf den ersten Blick kann ich auch nicht mehr sagen, als daß es sich bei dem Mörder um einen Fisch der Gattung Hai handeln muß. Wir werden einen Experten hinzuziehen müssen, um die Art genau zu bestimmen. Aber ein Katzenhai war es wohl nicht.«
    »Was ist mit einer Simulation?«
    »Woran denken Sie? An ein motorenbetriebenes Haifischgebiß?«
    »Ich versuche mir vorzustellen, wie es gewesen sein könnte. Soll ich glauben, der Hai sei aus einem Flugzeug gefallen? Was ja noch irgendwie vorstellbar wäre, wäre das Tier noch im Becken.«
    Dr. Paul zuckte mit den Schultern, erklärte dann aber, der Tote weise keinerlei Deformationen auf, die vermuten ließen, daß er es gewesen war, der da vom Himmel gefallen sei. Nein, dieser Mann scheine ganz einwandfrei zu den seltenen Opfern eines Haifischangriffes zu zählen.
    »Ein Badeunfall also«, sagte Jordan und machte ein verächtliches Gesicht, indem er seinem Mund die Form eines eingedrückten Lederballs verlieh.
    »Wenn Sie so wollen«, sagte der Arzt und zuckte erneut mit den Schultern. Er zuckte gern und viel und wollte damit sagen, daß er als Mediziner noch lange nicht für das Unglück und die Fatalität dieser Welt verantwortlich war. Dann äußerte er, sich den Toten so bald als möglich auf dem Tisch seiner – wie er das nannte – Studierstube zu wünschen, um eine eingehende Untersuchung vornehmen zu können. Jetzt aber müsse er los. Auf ihn warte ein Frühstück mit seiner Frau, welches man traditionsgemäß in einem kleinen Café in Ottakring einnehme. Daran führe kein Weg vorbei, solle auch gar keiner
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