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Rhosmari - Retterin der Feen

Rhosmari - Retterin der Feen

Titel: Rhosmari - Retterin der Feen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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widerstehen.
    Doch vergeblich. Ihre Muskeln setzten sich in Bewegung, und so empört ihre Gedanken auch gegen den Verrat des Körpers protestierten, konnte sie doch nicht verhindern, dass sie den Befehl ausführte. Mit in Tränen schwimmenden Augen führte sie Jasmin und die Armee über das Geröll zu dem von der Flut glatt gespülten Sandstrand.
    Niemand sprach und alle hatten wieder Feengestalt und ihre volle Größe angenommen. Zu hören waren nur das rhythmische Donnern der langgestreckten Wellen und das ferne Geschrei der Möwen, das Rhosmari tief ins Herz schnitt. Was für eine Qual, der ersehnten Heimat und ihrem Volk, das sie so verzweifelt hatte beschützen wollen, so nahe zu sein und doch zu wissen, dass sie nur gekommen war, seinen Untergang zu besiegeln.
    Die vertrauten niedrigen, von Flechten und Grasbüscheln überzogenen Klippen kamen näher. Scheinbar undurchdringlich ragten sie vor ihnen auf, doch Rhosmari wusste, dass sie gleich beim Eingang zu Gruffydds Weg ankommen würden. Wie gern hätte sie sich von einem Felsen gestürzt oder im Meer ertränkt, statt den Eingang zu öffnen. Doch nicht einmal dazu reichte ihr Wille.
    Ihre Beine wurden langsamer, ihr Körper wandte sich den Klippen zu. Deutlich sah sie das in den Felsen geritzte Symbol aus Welle und Kreis. Sie hob den Arm, um darauf zu zeigen …
    »Tu’s nicht, Rhosmari.«
    Sie erstarrte mit ausgestreckter Hand. Die Stimme hatte leise, aber vollkommen deutlich gesprochen – und sie gehörte nicht der Kaiserin.
    »Was ist?«, fragte die Kaiserin ungeduldig. »Öffne die Tür!«
    Mechanisch hob Rhosmaris Hand sich zum zweiten Mal. Doch wieder ertönte das Flüstern, diesmal noch drängender: »Tu’s nicht.«
    Sie hörte es mit den Ohren, nicht in Gedanken. So unmöglich es schien, offenbar war Timothy hier. Er war durch England und Wales geeilt, um bei ihr zu sein, und versteckte sich irgendwo zwischen den Felsen. Und er wollte verhindern, dass sie die Geheimtür öffnete.
    Jasmin packte Rhosmari an den Schultern. »Warum gehorchst du nicht? Ich will es sofort wissen!«
    Die Worte waren heraus, bevor sie es verhindern konnte. »Weil Timothy es mir verbietet. Er kennt meinen Namen auch.«
    »Sucht den Jungen!«, herrschte die Kaiserin die Umstehenden an. »Bringt ihn mir!«
    Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte Martin sich schon in einen Vogel verwandelt und flog an der Steilküste hinauf. Er ließ einen Zauber aufsteigen, der die Klippen beleuchtete, und plötzlich kam von den Felsen über ihnen ein scharrendes Geräusch und kleine Splitter des Schiefergesteins prasselten herunter. Rhosmari hörte sich »Timothy!« rufen und ihn antworten: »Mach dir um mich keine Sorgen!«
    Und dann sah sie ihn, an den Felsen gedrückt und mit den Füßen auf einem schmalen Sims balancierend. Seine Brust hob und senkte sich in Panik. Hilflos hing er dort, den Blicken der Kaiserin und ihrer ganzen Armee preisgegeben. Martin stürzte sich auf seine Augen und Timothy hob abwehrend die Hand – im selben Moment begann sein linkes Bein zu zittern und zu zucken und gab unter ihm nach.
    Er verlor den Halt, stürzte ab und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Rücken. Mit aufgerissenen Augen starrte er zum Himmel auf und schnappte verzweifelt nach Luft. Rhosmari wollte zu ihm eilen, aber da landete schon Martin in Feengestalt zwischen ihr und Timothy. Unsanft riss er Timothy hoch, drückte ihn gegen einen Felsen und hielt ihm ein blitzendes Messer an die Kehle. Er zischte ihm ein paar Worte ins Ohr und Timothy erstarrte.
    »Der wird uns nicht mehr stören«, rief Martin der Kaiserin zu. »Wenn er noch einmal den Mund aufmacht, töte ich ihn.«
    »Gut gemacht«, lobte die Kaiserin und wandte sich wieder Rhosmari zu. »Aber jetzt öffne die Tür.«
    Tränen strömten Rhosmari über das Gesicht, doch ihr Arm bewegte sich, ohne zu zögern. Beide, Timothy und die Kaiserin, übten die gleiche Macht über sie aus, und sie musste dem gehorchen, der zuletzt gesprochen hatte. Zum dritten Mal streckte sie die Hand aus …
    »Tu’s nicht!«, rief Timothy erstickt. Blitzend schnitt Martins Messer über seine Kehle. Timothys Augen traten hervor und rotes Blut quoll aus der Wunde. Martin stieß ihn hinter den Felsen, wo er willenlos zusammensackte.
    Wie betäubt sah Rhosmari es geschehen. Der Wind heulte in ihren Ohren, ein Echo ihrer inneren Qualen, und im selben Augenblick hörte alles auf zu existieren – Mond und Sterne, Sand und Wellen, die Kaiserin und ihre
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