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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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Geschäften. Childe kurvte unbekümmert zwischen den Fußgängerbrücken hindurch, die den Raum überspannten, und glitt in einen dunklen Seitentunnel. Dort brachte er die Maschine erst richtig auf Touren. Wie schnell wir waren, sah man nur an den vorbeirasenden roten Lichtern in den Tunnelwänden. Hin und wieder kam uns ein anderes Flugzeug entgegen, doch dann verzweigte sich der Tunnel mehrmals hintereinander, und der Verkehr hörte auf. Hier gab es auch keine Beleuchtung mehr, und wo die Scheinwerfer des Volantors die Wände streiften, wurden hässliche Risse und große Lücken in der Verkleidung sichtbar. Diese alten unterirdischen Schächte stammten noch aus den Gründerzeiten von Chasm City, bevor man den Krater mit Kuppeln überspannt hatte.
    Selbst wenn ich erkannt hätte, in welchem Stadtteil wir in das Tunnelsystem eingeflogen waren, hätte ich inzwischen jegliche Orientierung verloren.
    »Glauben Sie, Childe hat uns nur zusammengebracht, um uns für unsere Schwächen und Niederlagen zu verhöhnen, Doktor?«, fragte ich. Ich hatte mich bemüht, die Fassung zu bewahren, doch allmählich war mir die ganze Sache ganz und gar nicht mehr geheuer.
    »Das hielte ich durchaus für möglich, wäre Childe nicht auch seinerseits mit dem Makel des Misserfolgs gezeichnet.«
    »Dann muss es einen anderen Grund geben.«
    »Sie werden ihn in Kürze erfahren«, sagte Childe. »Haben Sie doch bitte noch etwas Geduld. Sie beide sind nicht die Einzigen, die ich aufgestöbert habe.«
    Endlich erreichten wir ein Ziel.
    Es war eine Höhle, von der Form her eine nahezu perfekte Halbkugel. Der Scheitel der gewaltigen Kuppel befand sich mehr als dreihundert Meter über dem Boden. Wir waren offensichtlich weit unter der Oberfläche von Yellowstone. Möglicherweise hatten wir sogar die Kraterwand der Stadt hinter uns gelassen, sodass nur noch freier Himmel und giftige Atmosphäre über uns lagen.
    Dennoch war die Höhle bewohnt.
    In die Decke waren unzählige Lampen eingelassen, die das Innere in künstliches Tageslicht tauchten. In der Mitte erhob sich, umgeben von einem Graben mit wenig einladendem Wasser, eine Insel. Sie war nur durch eine einzige Brücke mit dem Festland verbunden, so weiß und leicht gebogen wie ein riesiger Oberschenkelknochen. Die Insel wurde beherrscht von einem Wäldchen aus schlanken, dunklen Pappeln, die ein helleres Bauwerk in ihrer Mitte fast verdeckten.
    Childe stellte den Volantor am Rand des Grabens ab und forderte uns zum Aussteigen auf.
    »Wo sind wir?«, fragte ich, als ich draußen war.
    »Richten Sie eine Anfrage an die Stadt, und Sie werden es erfahren«, riet Trintignant.
    Das Ergebnis war anders, als ich erwartet hatte. In meinem Kopf war plötzlich eine schockierende Leere, das neurale Gegenstück zur unverhofften Amputation einer Gliedmaße.
    Der Doktor lachte leise, es klang wie ein Arpeggio auf einer Kirchenorgel. »Seit wir dieses Vehikel bestiegen haben, ist die Verbindung zu den städtischen Einrichtungen unterbrochen.«
    »Kein Grund zur Beunruhigung«, versicherte Childe. »Die Verbindungen zur Stadt sind gekappt, aber nur, weil ich es vorziehe, diesen Ort geheim zu halten. Ich hatte nicht damit gerechnet, euch beide damit zu erschrecken, sonst hätte ich es schon früher erwähnt.«
    »Ich wäre für eine Warnung dankbar gewesen, Roland«, sagte ich.
    »Hätte sie dich abgehalten, hierher zu kommen?«
    »Denkbar.«
    Sein Lachen hallte mehrfach wider. Die Höhle hatte eine eigentümliche Akustik. »Und da wunderst du dich, dass ich dir nichts gesagt habe?«
    Ich wandte mich an Trintignant. »Und was ist mit Ihnen?«
    »Ich gestehe, dass ich die städtischen Einrichtungen nicht häufiger nütze als Sie, wenn auch aus anderen Gründen.«
    »Der gute Doktor musste untertauchen«, sage Childe. »Und deshalb konnte er nicht aktiv in die städtischen Belange eingreifen. Jedenfalls nicht, wenn er nicht aufgespürt und getötet werden wollte.«
    Mir wurde allmählich kalt, ich stampfte mit den Füßen. »Schön. Und was jetzt?«
    »Bis zum Haus ist es nicht weit«, sagte Childe und schaute zur Insel hinüber.
    Alsbald vernahmen wir ein Geräusch, das ständig näher kam, ein altertümliches Poltern, begleitet von einem rhythmischen Trommeln, wie ich es noch von keiner Maschine gehört hatte. Mein Blick fiel auf die Schenkelbrücke. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass sie genau das war, wonach sie aussah: ein riesiger, biotechnisch manipulierter Knochen nämlich, oben abgeflacht, sodass eine
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