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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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so lange warten mussten«, sagte Childe und schloss die zwei schweren hölzernen Türflügel hinter uns. »Schön. Machen wir uns miteinander bekannt.«
    Die anderen sahen uns mit eher mäßigem Interesse entgegen.
    Der einzige Mann unter den Gästen trug ein kunstvoll verziertes Exoskelett: eine barocke Stützkonstruktion aus Streben, beweglichen Platten, Kabeln und Servomotoren. Sein Gesicht glich einem Totenschädel, über den sich papierdünne, totenbleiche Haut spannte, die Backenknochen sprangen so weit vor, dass sie schwarze Schatten warfen. Die Augen waren hinter einer Schutzbrille verborgen, das schwarze Haar hatte er zu steifen Dreadlocks geflochten, die nach allen Seiten auseinanderstrebten.
    Hin und wieder atmete er durch ein Glasrohr, das zu einer blubbernden Miniaturraffinerie führte, die vor ihm auf dem Tisch stand.
    »Darf ich Captain Forqueray vorstellen«, sagte Childe. »Captain – das sind Richard Swift und … hm, Doktor Trintignant.«
    »Sehr erfreut«, sagte ich, beugte mich über den Tisch und schüttelte Forqueray die Hand. Sie fühlte sich so kalt an wie der Fangarm eines Tintenfischs.
    »Der Captain ist ein Ultra; der Führer des Lichtschiffs Apollyon, das sich derzeit im Orbit um Yellowstone befindet«, fügte Childe hinzu.
    Trintignant verzichtete darauf, ihn zu berühren.
    »Schüchtern, Doktor?«, fragte Forqueray. Seine Stimme war tief und zugleich misstönend wie eine gesprungene Glocke.
    »Nein, nur vorsichtig. Dass ich unter den Ultras Feinde habe, ist schließlich allgemein bekannt.«
    Trintignant nahm seinen Homburg ab und strich sich leicht über den Kopf, als wolle er sich das Haar glätten. In seine Kopfmaske waren silberne Wellen eingearbeitet, sodass er aussah wie ein Perücke tragender Dandy aus dem Regency, den man in Quecksilber getaucht hatte.
    »Sie haben überall Feinde«, bemerkte Forqueray zwischen zwei gurgelnden Atemzügen. »Aber ich persönlich nehme Ihnen Ihre Gräueltaten nicht übel und verbürge mich dafür, dass auch meine Besatzung sich neutral verhalten wird.«
    »Sehr freundlich«, sagte Trintignant und schüttelte dem Ultra gerade so lange, wie es der Anstand erforderte, die Hand. »Aber was geht mich Ihre Besatzung an?«
    »Das reicht jetzt.« Eine der beiden Frauen hatte das Wort ergriffen. »Wer ist der Kerl, und warum hassen ihn alle?«
    »Gestatten Sie mir, Sie mit Hirz bekannt zu machen«, sagte Childe und wies auf die Sprecherin. Sie war klein wie ein Kind, hatte aber eindeutig das Gesicht einer erwachsenen Frau. Ihre schlichte, eng anliegende schwarze Kleidung betonte noch ihren zwergenhaften Wuchs. »Hirz ist – ich kenne kein besseres Wort dafür – Söldnerin.«
    »Ich betrachte mich allerdings lieber als Spezialistin für Informationsgewinnung, insbesondere durch Infiltration, im Auftrag großer Firmen im Glitzerband. Teilweise geht es dabei um handfeste Spionage. Meistens betätige ich mich freilich als Hacker, wie man früher sagte. Und ich bin verdammt gut in meinem Job.« Hirz hielt inne und nahm einen Schluck Wein. »Aber genug von mir. Wer ist der Silbertyp, und was meinte Forqueray mit Gräueltaten?«
    »Wollen Sie ernsthaft behaupten, Sie hätten noch nie von Trintignant gehört?«, fragte ich.
    »He, nun mal langsam. Ich lasse mich nach jedem Auftrag einfrieren. Das heißt, ich bekomme vieles von dem Mist, der auf Chasm City niedergeht, nicht mit. Finden Sie sich damit ab.«
    Ich zuckte die Achseln und erzählte Hirz – ohne den Doktor selbst aus den Augen zu lassen –, was ich über Trintignant wusste. Ich beschrieb in groben Zügen seine Anfänge als Experimentalcybernetiker und schilderte, wie er als furchtloser Neuerer bekannt geworden und schließlich auch Calvin Sylveste aufgefallen war.
    Calvin hatte Trintignant in sein Forschungsteam geholt, aber sie waren nicht gut miteinander ausgekommen. Bei Trintignant war die vollkommene Verschmelzung von Fleisch und Maschine zur fixen Idee geworden; man sprach sogar von einer Perversion. Nach einem Skandal wegen einiger Versuche ohne Einwilligung der Betroffenen hatte Trintignant seine Arbeit notgedrungen allein fortsetzen müssen. Sogar Calvin waren seine Methoden zu radikal geworden.
    Also war Trintignant untergetaucht und hatte seine grausigen Versuche mit der einzigen Person fortgesetzt, die ihm noch geblieben war.
    Sich selbst.
    »Also«, sagte der letzte Gast. »Was haben wir denn nun? Einen Cybernetiker mit einer Vorliebe für extreme Modifikationen, der seine Besessenheit
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