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Rettungslos

Titel: Rettungslos
Autoren: van der Vlugt Simone
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Seitenfenster, erinnert sie sich. Die Windschutzscheibe besteht aus Verbundglas und lässt sich deshalb kaum einschlagen. Sie dreht sich auf dem Fahrersitz, presst den Rücken gegen die Tür und versucht mit aller Kraft, das Fenster auf der Beifahrerseite einzutreten. Das Wasser leistet
Gegendruck. Sie schafft es einfach nicht, fest genug zuzutreten, zumal ihre Pfennigabsätze immer wieder abrutschen. Kostbare Sekunden verstreichen, während sie die Schuhe abstreift, dann versucht sie es erneut mit bestrumpften Füßen.
    Inzwischen ist das Wasser auf Sitzhöhe gestiegen und schwappt um ihre Hüften. Sie keucht vor Angst und tritt immer wieder zu. Aber das Glas des Seitenfensters gibt nicht nach.
    Wider besseres Wissen drückt sie noch mehrmals fest auf den Knopf für die Fensterheber – vergeblich. Graues Wasser umströmt sie, steigt auf Brusthöhe. Schluchzend tritt sie weiter gegen die Scheibe, obwohl ihre Muskeln von der Kälte bereits steif werden und ihre Kraft erlahmt.
    Seltsam, woran man in so einer Situation denkt: Bis man ertrinkt, vergehen drei bis fünf Minuten, eineinhalb davon bei vollem Bewusstsein. Eineinhalb Minuten sind keine lange Zeit, bis es tatsächlich so weit ist und einem klar wird, dass das neunzig Sekunden Todeskampf bedeutet. Sind die Sauerstoffreserven schließlich aufgebraucht, gelangt kein Blut mehr zum Gehirn, und man wird binnen zehn Sekunden bewusstlos. Alles Faktenwissen aus irgendeinem blöden Zeitungsartikel …
    Fröstelnd und zähneklappernd liegt Senta im Wasser. Sie zieht die Beine an und setzt sich wieder auf.
    Das Auto sinkt, immer schneller strömt das Wasser in den Innenraum. Es reicht ihr bereits bis zum Kinn, und sie kniet sich auf den Sitz, um ein paar Sekunden zu gewinnen. Eine kleine Chance bleibt ihr noch.

    Ihr Denken funktioniert klarer denn je: Wenn die Seitenfenster nicht mehr aufgehen, muss man warten, bis der Wagen auf den Grund gesunken ist. Lange kann das nicht mehr dauern; sie muss sich immer weiter nach oben recken, um Luft zu bekommen. Dann ist er da, der Moment, in dem ihr Gesicht das Autodach berührt. Wasser überspült Nase und Augen, und sie hat den letzten Atemzug genommen.
    Mit einem sanften Stoß kommt das Auto am Grund des Kanals auf. Mit einem Mal ist es unheimlich still und düster um sie.
    Senta tastet nach der Tür. Nun, da das Auto gesunken ist, müsste der Wasserdruck eigentlich abnehmen, sodass sich die Tür öffnen lässt. Sie kann ziemlich lange die Luft anhalten, weiß aber, dass ihre Überlebenschancen mit jeder Sekunde abnehmen. Ihre Hand findet den Griff, sie zieht daran und drückt zugleich mit der Schulter gegen die Tür. Tatsächlich – sie geht einen Spalt auf! Senta schöpft neue Hoffnung und presst mit aller Kraft, aber durch die Anstrengung atmet sie versehentlich zu stark durch die Nase aus. Kostbare Luft verschwindet aus ihrer Lunge. Beklemmung macht sich breit, und das Herz klopft ihr bis zum Hals.
    Ihre Gier nach Sauerstoff wird immer größer, sie muss sich zusammenreißen, um nicht den Mund aufzumachen. Die Lunge schreit nach Luft. In Todesangst wirft Senta sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. Sie geht ein Stückchen weiter auf. Mühsam zwängt sie den Arm durch den Spalt und versucht die Schulter nachzuschieben. Quälend langsam, als glitte sie durch dicken Sirup, öffnet sich die Tür.

    Plötzlich taucht neben ihr etwas Dunkles auf. Sie wird am Arm gepackt und ganz aus dem Wagen gezogen. Ein fester Griff um ihre Taille, und es geht nach oben.
    Langsam, viel zu langsam bewegen sie sich in die Höhe. Den Blick starr auf die zitternde Helligkeit über ihr gerichtet, kämpft Senta sich empor. In ihren Ohren rauscht es, das Erstickungsgefühl erfasst nun auch die Luftröhre. Nur noch ein kleines Stück. Ihr Retter schwimmt mit kräftigen Zügen, viel schneller, als sie es selbst gekonnt hätte. Aber in ihrer Lunge ist so gut wie kein Sauerstoff mehr, vor ihren Augen tanzen immer größere schwarze Flecke.
    Um ein Haar entgleitet sie ihm, doch er packt kräftiger zu, zieht sie weiter nach oben.
    Sentas Körper erschlafft, gibt den Kampf auf. Ihr Retter hingegen scheint nicht ans Aufgeben zu denken, das verrät sein Griff, dennoch sackt ihr Kopf zur Seite. Gleich muss sie den Mund aufmachen, es geht nicht anders. Ihre Lippen, die sie die ganze Zeit fest zusammengepresst hatte, geben
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